fullscreen: Ein Hausbuch aus deutscher Dichtung und Prosa für die Zwecke der Frauenbildung

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Lessing. 
von den Kolonien des britischen Amerika begeben. Das Schiss, worauf 
er überging, scheiterte an einer kleinen unbewohnten bermudischen 
Insel, und von dem Schiffsvolke ertrank, außer der Familie des 
Predigers, fast alles. Der Prediger fand diese Insel so angenehm, 
so gesund, so reich an allem, was zur Unterhaltung des Lebens ge¬ 
hört, daß er sich gern gefallen ließ, die Tage feiner Wallfahrt daselbst 
zu beschließen. Der Sturm hatte unter andern eine kleine Kiste an 
das Land getrieben, in welcher bei allerlei Gerätschaft für seine Kinder 
auch ein Katechismus Lutheri sich befand. Es versteht sich, daß dieser 
Katechismus, bei gänzlichem Mangel aller andern Bücher, ein sehr 
kostbarer Schatz für ihn wurde. Er fuhr fort, seine Kinder daraus 
.zu unterrichten, nnb starb. Die Kinder unterrichteten ihre Kinder 
wieder daraus, und starben. Nur erst vor zwei Jahren ward wieder 
einmal ein englisches Schiff, aus welchem ein hessischer Feldprediger 
war, an diese Insel verschlagen. Der Feldprediger, — ich könnte es 
aus seinen eigenen Briefen haben — ging mit einigen Matrosen, die 
frisches Wasser einnehmen sollten, ans Land und erstaunte nicht wenig, 
sich ans einmal in einem ruhigen lachenden Thäte, unter einem nackten 
fröhlichen Völkchen zu befinden, das Deutsch sprach, und zwar ein 
Deutsch, in welchem er nichts als Redensarten nnb Wendungen aus 
Luthers Katechismus zu hören glaubte. Er ward neugierig darob, 
und siehe! er fand, daß das Völkchen nicht allein mit Luthern sprach, 
sondern auch mit Luthern glaubte, und so orthodox glaubte, als nur 
immer ein Feldprediger. Einige Kleinigkeiten ausgenommen. Der 
Katechimus war, wie natürlich, in den anderthalb hundert Jahren 
aufgebraucht, und sie hatten nichts davon mehr übrig als die Bretter¬ 
chen des Einbandes. In diesen Bretterchen, sagten sie, steht das alles, 
was wir wissen. — Hat es gestanden, meine Lieben! sagte der Feld¬ 
prediger. — Steht noch, steht noch! sagten sie. Wir können zwar 
selbst nicht lesen, wissen auch kaum, was Lesen ist. aber unsere Väter 
haben es ihre Väter daraus herlesen hören. Und diese haben den 
Mann gekannt, der die Bretterchen geschnitten. Der Mann hieß 
Luther und lebte kurz nach Christo. 
Ehe ich weiter erzähle, Herr Pastor, waren diese guten Leutchen 
wohl Christen, oder waren sie keine? Sie glaubten sehr lebhaft, daß 
es ein höchstes Wesen gebe, daß sie arme sündige Geschöpfe wären, 
daß dieses höchste Wesen dem ungeachtet durch ein anderes eben so
	        
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