44 Erster Zeitraum. Geschichte der Germanen
2. Theoderichs des Großen Persönlichkeit und Regierungstätigkeit.
a) Seine Persönlichkeit. Theoderich, aus dem Hause der Amaler, seit481 alleiniger
König des ostgotischen Stammes, hatte als Stammesgeisel seine Jugend in Byzanz ver¬
lebt. „hier erfüllte er sich mit Bewunderung vor den Leistungen eines geordneten, bis
ins einzelne durchgreifenden Staatswesens und seiner Fürsorge für tägliche Wohlfahrt,
für die Ausgestaltung des bürgerlichen Daseins, für Wissenschaften und Künste, Schmuck
der Städte, begriff er die Segnungen eines durch militärischen Machtaufwand gesicherten
friedlichen Zustandes." (heyck, I.)
Für seine Verdienste im Zeldzuge gegen die Sarmaten dankte ihm der oströmische
Kaiser durch Gewährung eines Triumphzuges und durch Aufstellung seines Reiterstand¬
bildes in Byzanz.
©doafer war ihm in militärischer Hinsicht ein durchaus ebenbürtiger Gegner. Zwei
Jahre widerstand er ihm in offenem Seide, drei Jahre hielt er sich in der $estung Ravenna.
6rst nach Zusicherung seines Lebens und feines Hanges gab er feinen Widerstand auf.
Theoderichs eigenhändige (Ermordung Gdoakers unter Verletzung des ©astrechtes zeigt in
erschreckender Weise, wie unausgeglichen im Charakter auch geistig und sittlich hochstehende
Germanen dieses Zeitalters gewesen sind.
b) Seine Regierungsgrundsätze. Theoderich brachte der italischen Halbinsel auf Jahr¬
zehnte einen ungestörten Brieden, wirtschaftliche (Erholung und eine Hochblüte
der Wissenschaften und Künste. (Sein Grabmal in Ravenna, ein zweigeschossiger
Zentralbau, dessen flache Kuppel aus einem Steinblock von 10 m Durchmesser ausgemeißelt
ist.) (Offensichtlich war des Königs Bemühen, in unparteiischer Gerechtigkeit König der
Goten und Beherrscher der Römer zu sein. Die Goten bildeten sein Heer. (Hur zu den
Besatzungen der neu geschaffenen gotischen $lotte wurden Italiener herangezogen.) Sie
hatten nur von dem einen Drittel des Landes Besitz ergriffen, das vorher Gdoakers Krie¬
ger besessen hatten. Die Römer stellten die zahlreichen Verwaltungsbeamten in
den Städten. Sie nahmen die höchsten Stellen auch am königlichen Hofe und in der Regie-
rung ein.1) An Reichtum kam außer dem König kein (Bote den vermögenden römischen
Latifundienbesitzern gleich. Jedes der beiden Völker hatte sein eigenes Recht, seine eigene
Sprache, seine Kultur, seine Sitte und seinen Glauben. (Die Römer waren Athana¬
sianer, die (Boten Arianer.) Die Kluft, die die beiden Völker trennte, konnte nicht
größer sein.
c) Theoderichs Auffassung von seiner Herrscherstellung. Derselbe auffällige Dualis-
mus zeigte sich auch in Theoderichs Auffassung von seiner Herrscherstellung.
(Er hatte zu Beginn seiner Regierung die (Oberhoheit des oströmischen Kaisers offen an-
erkannt. _Gleichwohl ließ er später keinen Zweifel darüber aufkommen, daß er sich als Räch-
folger im römischen Imperium betrachtete. Räch Art der Kaiser hielt er in Rom
ctnen Triumphzug. Senat und Volk und Geistlichkeit mutzten ihm die (Ebren erweisen
die früher den Kaisern zuteil geworden waren.
Anderseits war Theoderichs Streben nach der Stellung eines germanischen ©ber-
riüAr-1 unverkennbar. Diesem Zwecke diente vornehmlich die Herstellung verwandt-
schaftltcher Beziehungen zu den Königshäusern der Franken, Westgoten, Burgunder,
Wandalen und Thüringer. y
d) Die Ablehnung seiner Herrscheridee durch die anderen Germanenkönige, durck»
die Romer und durch die römische Kirche. Die anderen Germanenkönige wollten in-
dessen von sexner Oberhoheit ebensowenig etwas wissen, wie die Römer jener Zeit von
etnem germanischen Kaisertum, dem nur der Harne und die oströmische Bestätigung noch
„ Residenzen waren Ravenna und Verona = Berne, viele Jahrhunderte später
gründete etn Markgraf von Verona aus dem Hause der Zähringer in der heutigen Schweiz
.Deutsch-Verona", das heutige Bern.