192 Die Neuzeit. Erste Periode, 1517—1648.
Verhandlung gestellt. Aleander trug in langer Rede alle Anklagen gegen
Luther vor und protestierte dagegen, daß der Verurteilte noch verhört
werde, und daß dabei überhaupt Laien mitreden sollten; dann legte der
Kaiser den Ständen einen Verhaftungsbefehl gegen Luther vor. Diese
aber entgegneten, bei der allgemeinen Erregung des Volkes könne Luther
nicht ungehört verdammt werden, und überreichten ihm ein von ihnen
gemeinsam zusammengestelltes Verzeichnis Jus, Beschwerden r^rn den rö¬
mischen Stuhl.* Da gab ber Kaiser nach, indem er Luther durch einen
besonderen Herold, Kaspar Sturm, ein ehrenvolles Einladungsschreiben
sandte und freies (SHHTgetoährte; auch die Fürsten, durch deren Länder
Luther reisen mußte, stellten ihm Geleitsbriefe aus.
Luther war sofort zur Reise nach Worms entschlossen. Auf einem
ihm von der Stadt Wittenberg überlassenen Wagen fuhr er in Begleitung
zweier Freunde und eines Klosterbruders ab; vorauf ritt der Herold.*
So ging die Reise über Leipzig, Weimar, Erfurt, wo er mit großen
Ehren empfangen wurde und in einer übervollen Kirche predigte, dann
über Gotha, Eisenach und Frankfurt. In mehreren Städten fand er einen
kaiserlichen Befehl angeschlagen, der seine Bücher der Obrigkeit auszu¬
liefern befahl; dazu quälte ihn auf der Reise öfter Krankheit, wodurch
nach seiner Meinung der Satan ihn am Kommen verhindern wollte.
Luthers Freunde fürchteten für das Leben des kühnen Mönchs und sandten
ihm eine Warnung entgegen, zugleich lud ihn Franz,von Sickingen auf
seine nahe Ebernbura ein, wo der Beichtvater des Kaisers mit ihm ver¬
handeln wollte; aber Luther wollte von dem geraden Wege nicht ab¬
weichen.
_ fo* Luther vor dem Reichstage. Gleich am Tage nach seiner An¬
kunft in Worms wurde Luther vor die Reichsversammlung geladen, wo
ihm die Frage vorgelegt wurde, ob er die vor ihm liegenden Bücher als
die semigen anerkenne, und ob er deren Inhalt widerrufen wolle. Mit
schwacher Stimme antwortete er auf die erste Frage ein kaum hörbares
Ja und bat sich wegen der zweiten Bedenkzeit aus, die ihm der Kaiser,
wenn auch widerwillig, gewährte. Aleander war schon siegesgewiß, Luthers
Freunde aber wunderten sich, daß der bisher so kühne und sterbensfrohe
Mann jetzt so verzagt auftrat. Die ihm am folgenden Tage (18. April)
vorgelegte Frage lautete: „Wollt Ihr die Bücher alle verteidigen, oder
wollt Ihr etwas zurücknehmen?" Luther antwortete in einer langen
^lateinischen Rede, deren gedrängter Inhalt etwa lautete: „In etlichen
! Büchern rede ich von Glauben und Sitte so evangelisch und schlicht, daß
; auch meine Widersacher sich dazu bekennen: die kann ich nicht widerrufen.
VJn anderen habe ich wider der Papisten Lehren geeifert; wollte ich die
dviderrusen, was wäre ich da für ein Schanddeckel der Tyrannei und Bos-
feeit! In Büchern der dritten Art habe ich gegen einzelne Personen