488 Die Neuzeit. Vierte Periode, 1815 bis zur Gegenwart.
EMEche in Jerusalem, die er erbaut und in Gegenwart der Kaiserin
sowie vieler hoher weltlicher und geistlicher Würdenträger am 31. Oktober
1898 eingeweiht hat.* Davon zeugt auch seine große Wohltätigkeit, bei
der ihn seine Gemahlin aufs eifrigste unterstützt. Sie nimmt sich be¬
sonders der Vereine zur Linderung der geistlichen Not, der Kranken- und
Waisenhäuser an. Obwohl der Kaiser der katholischen Kirche große
Freiheit gewährt, ihre Kirchenbauten fördert und ihr ein vom Sultan
erworbenes Grundstück in Jerusalem geschenkt hat, auf dem die Mutter-
Maria bis zu ihrem Tode gewohnt haben soll, so ist er doch ans Über¬
zeugung ein evangelischer Christ. Das hat er oft bekannt, auch bei der
Einweihung der wiederhergestellten Schloßkirche in Wittenberg mit den
Worten: „Ans dem gläubigen Festhalten an der evangelischen Wahrheit
ruht unsere Hoffnung im Leben und im Sterben."
Gesegnete Friedensjahre hat das deutsche Volk unter den Hohen-
zollernkaifern erleben dürfen. Es hat seitdem die Reichseinheit ungestört
ausgebaut und durch den Beginn der sozialen Gesetzgebung als das erste
unter allen Völkern sich eine Riefenaufgabe gestellt und zum Teil schon
gelost; fein Handel und Gewerbe blühen; Wohnung, Nahrung, Kleidung
und Bildung selbst der unteren Stände sowie der Inhalt unserer Spar¬
kassen zeugen von dem Wohlbefinden unseres Volkes. Kaiser Wilhelm hat
das Ansehen Deutschlands nicht nur gewahrt, sondern noch erhöht und
bie drohende Gefahr im Inneren zu schwächen vermocht. Möge das deutsche
Volk feinen Kaiser in dieser schwierigen Aufgabe unterstützen! Möge es
über dem Kampf für Sonderintereffen nie die unschätzbaren Güter ver¬
gessen, welche ihm dereinst fein tapferes Heer unter Führung feines großen
Kaisers erstritten hat, fonbern sich stets von bem Wahlfpruch leiten lassen:
Mit Gott für Kaiser und Reich!
§ 106. Blick auf die neueste Geschichte der wichtigsten
übrigen Staaten.
Österreich und Ungarn stehen in Personalunion; sie haben getrennte
Verwaltung (Ministerien) und Volksvertretung, aber gemeinsame Vertretung
im Auslande, Heeres- und Finanzverwaltung. Das Heer wurde nach
1866 völlig umgestaltet, ein Zivilehegefetz eingeführt, bie Verstaatlichung ber
Eisenbahnen begonnen nnb bnrch Vollenbnng bes Eisernen-Tor-Kanals
ber Hanbel nach bem Osten wesentlich geförbert. Aber bie großen reli¬
giösen, nationalen unb wirtschaftlichen Gegensätze brohen bas Reich zu
sprengen. Früher galt im ganzen Reiche bie teutsche Sprache als Amts¬
sprache, die Deutschen waren die führende Nation; die Tschechen aber
verlangen die Gleichstellung ihrer Sprache mit der deutschen und erstreben