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V. Der Dreißigjährige Krieg (1618—1648).
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Erblande viel zu leiden. Deshalb dachte man daran, ihm einen Nach-
folger oder Stellvertreter zu geben. Aber davon wollte Rudolf II.
nichts wissen. Deshalb zwang man ihn mit Gewalt, die Regierung in
Ungarn, Österreich und Mähren an seinen Bruder Matthias abzu-
treten.
Um nicht auch Böhmen zu verlieren, gewährte Rudolf II. den
nichtkatholischen Bewohnern dieses Landes durch den Majestätsbrief
(1609) volle Religionsfreiheit. Außerdem wurde den Herren, Rittern
und königlichen Städten die Erlaubnis zum Kirchenbau gewährt. Dieses
Recht wurde später auch auf die königlichen Güter ausgedehnt.
Inzwischen dauerte der Bruderzwist fort. Matthias ruhte nicht,
bis er seinem Bruder auch Böhmen geraubt hatte. Rudolf II. wurde
zur Abdankung gezwungen, und Matthias hielt seinen Einzug in Prag.
Dem Schicksal, auch noch die Kaiserkrone zu verlieren, entging Rudolf
durch seinen Tod im Jahre 1612.
2. Matthias (1612—1619). Matthias suchte durch Nachgiebigkeit
gegen die Protestanten den Ausbruch eines Krieges zu verhüten. Aber
die allgemeine Gärung dauerte fort, und noch ehe der Kaiser die Augen
schloß, brachen in Böhmen jene Stürme los, die Deutschland 30 Jahre
lang erschütterten und das Haus Habsburg mehr als einmal an den
Rand des Unterganges brachten.
3. Kirchenstreit in Böhmen. Rudolf II. hatte durch den Majestäts-
Brief nur den drei weltlichen Ständen der Herren, Ritter und könig-
lichen Städte mit ihren Untertanen Religionsfreiheit gewährt. Durch
einen Sondervertrag war das Recht des Kirchenbaues auch den Unter-
tonen königlicher Güter bewilligt worden. Unter den königlichen
Gütern verstanden die Protestanten auch die geistlichen Güter, weil
diese zum Krongut gehörten. Aus Grund dieser Auslegung erbauten die
protestantischen Bewohner von Braunau und Klostergrab Kirchen.
Braunau unterstand dem Abte von Braunau, Klostergrab dem Erz-
bischofe von Prag. Die Kirche zu Braunau wurde geschlossen, die zu
Klostergrab niedergerissen.
4. Ausbruch der Gärung. Die Protestanten beschwerten sich bei
der Statthalterschaft in Prag) ihre Beschwerde wurde abgewiesen, ebenso
eine Eingabe an den Kaiser Matthias. Es ging das Gerücht, dieser
letzte Bescheid sei von den Statthaltern gefälscht. Als Urheber der
Fälschung nannte man allgemein die Herren Martinitz und Slavata.
Diese Angelegenheit in Verbindung mit der lange in Böhmen bestehenden
Abneigung gegen die Habsburgische Herrschaft brachte die Gärung zum
Ausbruche. Unter Anführung des Grafen Matthias von Thurn drangen
Abgeordnete der Protestanten in das Sitzungszimmer der Statthalters.
Nach kurzen und erregten Verhandlungen wurden Martinitz und Slavata
und deren Geheimschreiber Fabricius Platter aus dem Fenster hinab-
Beck u. Dahmen. Lehrbuch für den Geschichtsunterricht. II. Teil. 14