Full text: Lehr- und Lesebuch für ländliche Fortbildungs- und Winterschulen

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As Edelreiser werden einjährige Triebe von gesunden Bäumen 
genommen. Man schneidet sie, bevor der Saft in die Bäume tritt, spätestens 
im Januar; doch kann man auch frisch geschnittene Reiser gebrauchen, wenn 
die Knospen derselben noch nicht ausgetrieben sind. 
Die beim Okulieren zu verwendenden Augen werden den Sommer— 
trieben entnommen; doch achte man darauf, daß letztere schon verholzt sind. 
Sollen die Reiser aufbewahrt werden, so sind die Blattflächen von den Blatt— 
stielen zu entfernen. 
167. Die Veredlungsarten. 
Das Gebot des Großen Kurfürsten lautete: „Jeder junge Mann muß 
vor seiner Verheiratung zum wenigsten sechs Obstbäume gepfropft und ebenso— 
viele an einen geeigneten Ort gepflanzt haben.“ 
Das Pfropfen ist wohl die älteste und in nicht gärtnerischen Kreisen 
verbreitetste Veredlungsart. Der Wildling wird bis zur Veredlungsstelle 
glatt weggeschnitten und ein ganzes Reis eingesetzt. Gelingt der erste Ver— 
edlungsversuch nicht, so kann durch tieferes Schneiden eine neue Veredlungs— 
stelle gewonnen werden. Von den Arten des Pfropfens sind zu nennen: 
1. das Pfropfen in oder hinter die Rinde, 2. das Pfropfen in den Spalt 
und 3. das Anschäften (Anpelzen). Laß dir jede Art vormachen, übe sie 
dann im Frühjahr an Weidenzweigen bis zur Fertigkeit, gib das Verfahren 
an, begründe auch, warum das so und nicht anders gemacht werden darf; 
dann erst darfst du einen Versuch in der Baumschule vornehmen! 
Das Kopulieren kann auch in der Stube ausgeführt werden. Die 
Wildlinge hast du schon im Spätherbst herausgenommen, die Wurzeln ver— 
schnitten und sie in schwach angefeuchtetem Sande im Keller aufbewahrt. 
Die Veredlung führst du im Februar oder März aus, d. i. an den Tagen, 
da noch wenig Außenarbeit ist. Wildling und Edelreis haben die gleiche 
Stärke, werden schräg angeschnitten, aufeinander gelegt und angewickelt. Die 
fertiggemachten Stämmchen werden wieder in den Keller gebracht und im 
Frühjahr in die Edelschule gepflanzt. Was soll durch das Bewickeln erzielt 
werden? Wann ist dieser Verband zu lockern und später ganz zu lösen? Worauf 
ist aber bei dem Auspflanzen der in der Stube veredelten Wildlinge zu achten? 
Baumwachs: 27 Teile Fichtenharz geschmolzen und dazu 5 Teile Weingeist. 
Das Okulieren beschädigt den Wildling wenig, ist einfach in der Aus— 
führung und kann bei Mißerfolgen leicht wiederholt werden. Ein Auge 
des Edelreises wird unter die Rinde des Wildlings geschoben. 
Findet das Okuliexen im ersten Safttrieb um Johannis statt, so entwickelt 
sich das eingesetzte Auge noch im nämlichen Sommer und heißt dann das 
Okulieren auf das treibende Auge. Das Holz dieses Triebes wird aber 
häufig bei ungünstiger Witterung nicht mehr reif und leidet von der Kälte; 
darum ist das Okulieren auf das schlafende Auge mehr zu empfehlen. Es 
wird im zweiten Safttrieb im Juli oder August vorgenommen. Wo zeigt 
sich der Safttrieb? Warum kann außer dieser Zeit nicht okuliert werden? 
Der Wildling kann die Dicke von Federkiel- bis Fingerstärke haben. 
An einer glatten Stelle macht man in die Rinde einen J förmigen Einschnitt 
und löst die frei gewordenen Spitzen (Lappen).
	        
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