Full text: Hilfsbuch für den Geschichtsunterricht in Präparandenanstalten

Die Völkerwanderung. 97 
ein Spielball in der Hand ihrer germanischen Söldnerführer; denn 
ihr ganzes Heer bestand aus Germanen. Als diese in Italien den 
dritten Teil des Bodens verlangten, ihr Begehren aber abgewiesen 
wurde, machte der Feldherr Odoaker dem weströmischen Reiche ein 
Ende, indem erden letzten Kaiser, Romulus Augustulus, der noch 476 
ein Knabe war, absetzte und sich fortan König von Italien nannte. 
Der Kaiser von Ostrom sah sich jetzt als Kaiser des ganzen 
Römerreiches an; deshalb forderte er die Ostgoten, die nach Attilas 
Tode wieder frei geworden waren und im heutigen Ungarn wohnten, 
auf, Italien zu erobern. Sie standen damals unter dem tüchtigen 
Könige Theodorich. der sich bereit finden ließ, den Krieg mit 
Odoaker aufzunehmen. Er besiegte ihn bei Verona (von den Deutschen 
auch Bern genannt, weshalb Theodorich in der deutschen Sage Dietrich 
von Bern heißt); aber erst nach fernerem, dreijährigem Kampfe ergab 
sich Odoaker, nachdem Theodorich ihm das Leben und die Mitherrschaft 
zugesichert hatte. Bald darauf jedoch stieß Theodorich ihn mit eigener 
Hand nieder (493). Der oströmische Kaiser erkannte Theodorich als 
König von Italien an; dieser aber regierte ganz unabhängig, mit 
Kraft und Weisheit, so daß Italien sich unter seiner Herrschaft wieder 
erholte. 
Ein Jahr nach Theodorichs Tode erhielt Ostrom in Justinian 
einen tüchtigen Kaiser, der seinen Feldherrn Velisar mit einer Flotte 
nach Afrika zur Eroberung des Vandalenreichs sandte. Der Vandalen¬ 
könig wurde geschlagen und suchte in einer Felsenburg Zuflucht, die 
nun belagert wurde. Als ihn der römische Feldherr endlich zur Er¬ 
gebung auffordern ließ, wies der König dies Ansinnen zurück, bat 
aber, wie die Sage erzählt, um ein Stück Brot, einen Schwamm 
und eine Harfe, und als der erstaunte Römer fragen ließ, warum 
der König gerade um dieses bitte, antwortete derselbe: „Ich bitte um 
Brot, weil ich keins gesehen habe, so lange ich in dieser Festung bin; 
um einen Schwamm, um meine vom Weinen geröteten Augen zu 
trocknen; um eine Harfe aber, um bei ihrem Klange mein Unglück 
zu besingen." Er erhielt das Gewünschte; doch bald zwang ihn 
die Not, sich zu ergeben, und er wurde in silbernen Ketten nach 
Konstantinopel gebracht. Jetzt (534) wurde Afrika eine oströmische 
Provinz; das Volk der Vandalen verschwand damit. 
Hierauf besetzte Belisar Sicilien und griff dann die Ostgoten in 
Italien an. Nach langen erbitterten Kämpfen unterwarf er die ganze 
Halbinsel; nach seinem Abzüge aber eroberten die Goten fast ganz 
Italien wieder. Da sandte Justinian den Feldherrn Narses, der 
von Norden her in Italien eindrang und das Gotenheer zuletzt am 
Vesuv einschloß. Drei Tage fochten hier die Goten den Kampf der 
Verzweiflung; da bot ihnen Narses aus Achtung vor ihrer Tapfer¬ 
keit freien Abzug an, den sie annahmen. Nur 1000 Mann wollten 
von einem Vertrage nichts wissen, sondern schlugen sich durch, über- 
Hoffmeyer und Hering, Hilfsbuch. 7. Aufl. 7
	        
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