2 Einleitung.
Mittelpunkt fehlt, Europa bildet in der Geschichte der Neuzeit ein
System von Staaten verschiedenen Ranges, einen Staatenverein, in
dem um die Erhaltung des sogenanntenpolitischenGleich-
gewichts Bündnisse geschlossen und die größten europäischen Kriege
geführt werden. Der Lehnsstaat, die herrschende Staatsform des Mittel-
alters, geht durch die wachsende Fürstenmacht der Neuzeit in die ab-
folute Monarchie über, die, getragen von derUnterthanentreue,
gestützt durch stehende Heere, von einem Beamten st aat verwaltet
wird, durch welchen die Unterthanen nach landesväterlichen Anordnungen
regiert werden. Während im Mittelalter höhere Bildung nur bevor¬
rechteten Ständen und Personen angehörte, erweitert sich in der Neuzeit
die Klasse der höher Gebildeten und verbreitet sich eine allgemeine
Volksbildung. Zunehmende Intelligenz und zahllose Erfindungen
führen eine Umgestaltung und Verfeinerung des Lebens nach allen
Richtungen herbei. Die gewaltigen Fortschritte aus dem Gebiete wissen-
schaftlicher Forschung, die Ausbildung und Ausbreitung einer einflu߬
reichen Literatur und die Verallgemeinerung der Volksaufklä-
rung sind aber begleitet von einem zunehmenden Verfall des
religiösen Glaubens, der sich bis zum Abfall vom Christentum
steigert und die tieferen Fundamente der Sittlichkeit untergräbt. Es vcr-
bindet sich mit den großartigen Kulturfortschritten in der Neuzeit ein
Streben der Völker nach politischer und religiöser Freiheit,
das zum Umsturz des Bestehenden und geschichtlich Gewordenen durch
Revolutionen führt, veraltete, hemmende Bande und Feffeln sprengt,
aber auch heilsame Schranken niederreißt und segenbringende, wie zer-
störende Kräfte entbindet. In diesen Kämpfen geht die absolute
Monarchie in die konstitutionelle Staatsform über, in der
die bisher absolute Fürstenmacht durch eine Verfassung gesetzlich be¬
schränkt, in vereinzelten Fällen ganz beseitigt, die Macht der Büreau-
kratie vermindert und der Beamtenregierung die Selbstverwaltung
zur Seite gestellt wird. Die Gegenwart steht noch mitten in der
schwierigen Lösung der Aufgabe, Autorität der Obrigkeit und
bürgerliche Freiheit, Ordnung und Blüte des Ganzen und persönliche
Selbständigkeit und Wohlfahrt des Einzelnen durch gesetzliche
Regelung in das rechte Verhältnis zu bringen. Es gilt, Wissen und
religiösen Glauben zu versöhnen, dem Volksleben mit seiner Richtung
auf allseitigen Genuß der rapiden Kulturfortschritte besonders auf dem
Gebiete der Naturwissenschaften die erhebenden und reinigenden Kräfte
des Christentums zu erhalten und es mit dem höhern und unvergäng-
lichen Geiste desselben zu durchdringen: durch dieses alles aber kultur-
stürzenden, staatsauflösenden und religionsfeindlichen Umsturzmächten
entgegen zu arbeiten, welche in der neuesten Zeit sich drohender
und allgemeiner zu regen begonnen haben.
„Das poetische Mittelalter mit allen seinen romantischen
Zügen von Heldenkraft, das Ritterleben und die Mystik, aber auch die
Greuel des Faustrechts beschäftigen durch Wechsel und Gegensatz ange-