138 Das Mittelalter.
seine Hand ins Feuer halten, aus demselben einen Ring hervorholen^
glühendes Eisen in bloßen Händen tragen oder mit bloßen Füßen
über glühende Pflugscharen gehen; blieb er unverletzt, so war er un¬
schuldig. Wer zur Wasserprobe verurteilt war, wurde ins Wasser
geworfen; ging er unter, so war er unschuldig. Oder er mußte, um
seine Unschuld zu beweisen, aus einem Kessel kochenden Wassers mit
bloßer Hand einen Stein nehmen, ohne sich zu verbrennen. Bei der
Kreuzprobe mußten Kläger und Beklagte mit ausgestreckten Armen
sich vor einem Kreuze aufstellen; wer am längsten unbeweglich staub,
hatte recht. Am gebräuchlichsten war der Zweikampf; doch war
derselbe ein Vorrecht des Freien. Diesem stand es auch frei, sich
selber Recht zu schaffen; doch mußte er seinem Gegner zuvor die
Fehde ansagen. Das Fehderecht kam aber fast nur den raub- unb
kriegslustigen Adeligen zu gute, die nicht selten aus ganz nichtigen
Gründen reichen Städten rc. Fehde ankündigten, um unter dem Scheine
des Rechts sich zu bereichern, Land- und Wasserstraßen unsicher zu
machen. Am meisten litten dabei die Bauern, denn nur wenige Könige,,
wie Barbarossa und Rudolf von Habsburg, waren imstande, die Über¬
mütigen zur Rechenschaft zn ziehen, deren viele gehängt wurden.
Andere schwere Strafen waren Acht und Bann; jene verhängte die
weltliche Obrigkeit, dieser war eine kirchliche Strafe. Der Geächtete
war von aller bürgerlichen Gesellschaft ausgeschlossen; jeder durfte ihn
ungestraft berauben und selbst töten. Wer in den Bann gethan war,
durfte die Kirche nicht betreten; kein Priester durfte vor ihm die
Messe lesen, noch ihm das heilige Abendmahl reichen; starb jemand
im Banne, so wurde er nicht auf dem Kirchhofe beerdigt. Furchtbarer
als Acht und Bann war das Interdikt, das wegen schwerer kirch¬
licher Vergehen über ganze Städte und Länder verhängt wurde und
daselbst jede kirchliche Handlung verbot. Dann erklang dort keine
Kirchenglocke, die Kirchen blieben geschlossen; vergebens sehnte sich der
Sterbende nach dem heiligen Abendmahle, kein Geistlicher folgte dem
Sarge, die Ehen wurden auf dem Friedhofe eingesegnet.
b. Das Fcmglricht. Allmählich wurde die Grafenwürde in den
einzelnen Landesteilen erblich; die Freien verloren viel von ihren
Rechten unb standen nicht mehr unmittelbar unter dem Kaiser. In
Westfalen aber bewahrten die Einwohner ihre alte Freiheit und ihr
altes deutsches Gericht noch lange. Der Graf, welcher dem Gerichte
vorsaß, nannte sich, weil er über Freigebliebene richtete, Freigraf,
die Schöffen hießen Freischöffen und der Gerichtsbezirk Freigraf¬
schaft oder Freistuhl. Der oberste Freistuhl war zu Dortmund:
die Freigerichte hielten sich aber verpflichtet, überall Schutz und Recht
zu schaffen, wo von dem ordentlichen Richter dies nicht geschah. Die
Schöffen hatten untereinander eine heimliche Losung, durch die sie
einander erkannten; daher hießen sie Wissende. Jeder freie und
ehrliche Deutsche konnte Wissender werden; aber nur in Westfalen (auf