Fünfte Periode. Von 1760 - 1830.
Sie liebeskühn in seine Arme nahm
Und, da sie glühend bald, bald blaß wie eine Büste,
Sich zwischen Lieb' und jungfräulichem Gram
In seinen Armen wand, sie auf die Lippen küßte!
8. Schon hatt' er sie zum zweiten Mal geküßt!
Wo aber nun den Trauring herbekommen?
Zum Glücke, daß der Ring an seinem Finger ist,
Den er im Eisenturm dem Riesen abgenommen
Zwar, wenig noch mit dessen Werth vertraut,
Schien ihm, dem Ansehn nach, der schlecht'ste kaum geringer,
Doch steckt er ihn aus Noth jetzt an des Fräuleins Finger
Und spricht: „So eign' ich dich zu meiner lieben Braut!“
9. Er küßt mit diesem Wort die sanft bezwungne Schöne
Zum dritten Mal auf ihren holden Mund.
„Ha!“ schreit der Sultan auf und knirscht und stampft den Grund
Vor Ungeduld, „ihr leidet, daß der Hund
Von einem Franken so mich höhne?
Ergreift ihn! Zaudern ist Verrath!
Und, tropfenweis erpreßt, versöhne
Sein schwarzes Blut die ungeheure That!“
10. Auf einmal blitzen hundert Klingen
In Hüons Aug', und kaum erhascht er noch,
Eh' sie im Sturm auf ihn von allen Seiten dringen,
Sein hingeworf'nes Schwert. Er schwingt es dräuend. Doch
Die schöne Rezia, von Lieb' und Angst entgeistert,
Schlingt einen Arm um ihn, macht ihre Brust zum Schild
Der seinigen — der andre Arm bemeistert
Sich seines Schwerts Zurück, Verwegne!“ schreit sie wild.
11. „Zurück! es ist kein Weg zu diesem Busen
Als mitten durch den meinen!“ ruft sie laut;
Und ihr, noch kaum so sanft wie Amors holde Braut
Giebt die Verzweiflung jetzt die Augen von Medusen.
„Vermeßne, haltet ein!“ ruft sie den Emirn zu,
„Zurück! — O schone sein, mein Vater! und, o du,
Den zum Gemahl das Schicksal mir gegeben,
O, spart mein Blut in euer beider Leben!“
12. Umsonst! des Sultans Wuth und Dräu'n
Nimmt überhand, die Heiden dringen ein
Der Ritter läßt sein Schwert vergebens blitzen
Noch hält ihm Rezia den Arm. Ihr ängstlich Schrein
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