58 Das Deutsche Reich des Mittelalters. § 32.
Nicht blind mehr, waltet der eiserne Speer,
Nicht fürchtet der Schwache, der Friedliche mehr
Des Mächtigen Beute zu werden."
Rudolf war 55 Jahre alt, als das Vertrauen der Fürsten ihn an
die Spitze des Reiches stellte. Er war berufen, nach der kaiserlosen, der
schrecklichen Zeit dem Reiche Ordnung, Recht und Gesetz wiederzubringen.
Die Fürsten hatten ihn gewählt, weil seine Hausmacht nicht so groß
war, daß sie ihnen hätte gefährlich werden können, und doch groß genug,
um als Stützpunkt der kaiserlichen Macht zu dienen. Er besaß reiche
Güter im Elsaß, in Baden und im Schweizerkanton Aargau. Dort steht
das Stammschloß seiner Familie, die Habsburg oder Habichtsburg.
2. Kampf gegen Ottokar von Böhmen. Von den Wahlfürsten fehlte
bei der Wahl und bei der Krönung der mächtigste von allen, König
Ottokar von Böhmen. Er hatte gehofft, selbst Oberhaupt des Reiches zu
werden. Aber das war nicht der Hauptgrund, weshalb er sich von Ru-
dols fern hielt. Während der kaiserlosen Zeit hatte er sich mit Waffen-
gewalt Österreich, Steiermark, Kärnten und Kram angeeignet, und König
Richard hatte ihn in diesem Besitze bestätigt, wahrscheinlich, weil es ihm
an Lust fehlte, diese Ostmarken des Reiches gegen den mächtigen Böhmen-
sürsten zu verteidigen. Von Rudolf fürchtete Ottokar, daß er diese Be¬
sitzungen zurückfordern würde, und Rudolf tat dies auf feinem ersten
Reichstage. Aber Ottokar gab nicht so leicht heraus, was er im Kampfe
gewonnen hatte. Deshalb war der Krieg unvermeidlich. Rudolf war
siegreich. Ottokar erschien in dem Lager des deutschen Königs, beugte
sein Knie vor ihm, verzichtete auf die umstrittenen Herzogtümer und nahm
seine Erblande Böhmen und Mähren aus Rudolfs Hand zu Lehen.
Die Unterwerfung war nur Schein. Bald fing Ottokar wieder Zettelungen
gegen Rudolf ort. Gegen einen so mächtigen Gegner konnte nur eine
große Schlacht die Entscheidung bringen. Sie fand im Jahre 1278 auf
dem Marchfelde bei Wien statt. König Ottokar fiel tapfer kämpfend.
Rudolfs Sieg war glänzend und entscheidend.
Durch die Schlacht auf dem Marchfelde ist gewissermaßen der Grund-
stein zum österreichischen Kaiserstaate gelegt worden; denn Rudolf gab die
erstrittenen Herzogtümer Österreich, Steiermark und Kram seinem Sohne als
Reichslehen. So sind die österreichischen Stammlande an das Haus Habsburg
gekommen und dabei geblieben bis ans den heutigen Tag. Mannhaft haben
die tapfern Habsburger sie beschützt gegen viele und mächtige Feinde. Sie
haben von hier aus Bildung und Gesittung zu vielen slawischen Stämmen
getragen, die im Lause der Jahrhunderte ihrem Zepter Untertan wurden.
Den Sohn des gefallenen Ottokar bestätigte der Kaiser in dem Besitze
seiner Erblande Böhmen und Mähren und versprach ihm seine Tochter
Gutta zur Gemahlin. Dadurch wurde die spätere Vereinigung Böhmens
mit Österreich angebahnt.