188 Erste Abteilung. Zweiter Abschnitt. Geschichte des Mittelalters'
einander erwürgten." Er zeigte die Inkonsequenz des Papstes, der die
lombardischen Städte, in denen die Ketzerei ihr sicherstes Nest habe, in
seinen Schutz nehme, ihn aber der Ketzerei beschuldige und anderwärts die
Ketzer mit Feuer und Schwert vertilge: zugleich bekannte er sich trotz
seiner sonstigen freigeistigen Ansichten öffentlich zum apostolischen und
athanasianischen Glaubensbekenntnisse. Obgleich im Auftrage des Papstes
Bettelmönche nicht ohne Erfolg das Volk dem Kaiser abwendig zu
machen suchten durch die Beschuldigung, derselbe habe über die Mutter
Gottes und die Wunder und Mysterien der Kirche gespottet, die Sarazenen
vor den Christen begünstigt, sarazenische Kebsweiber gehalten u. dgl., konnte
der Papst die Fürsten nicht zum Auftreten gegen den Kaiser bewegen.
Die deutschen Fürsten erklärten, bereits anders gesinnt als zu Heinrichs IV.
Zeiten, der Papst habe keine neue Kaiserwahl anzuordnen, und der fromme
König von Frankreich. Ludwig IX., der Heilige, schlug die deutsche Krone
aus, die der Papst für den Bruder desselben anbot, und wollte sich nicht
zum Werkzeuge „römischer Rachgier" machen. Friedrich drang siegreich
in den Kirchenstaat ein und bedrohte Rom; er verbot den Prälaten den
Besuch einer gegen^ihn gerichteten Kirchenversammlung zu Rom und
ließ durch seinen Sohn Enzio die genuesischen Schiffe, welche zahl-
reiche Kirchenhäupter nach Rom führen sollten, verjagen, versenken oder
nehmen und über hundert Prälaten auf ein Schloß bei Neapel in Ge¬
fangenschaft führen. Diesen Schlägen erlag der unbeugsame Gregor IX.
als ein fast hundertjähriger Greis. Da gedachte Friedrich wohl, der
Kirche ihre weltliche Macht vollständig zu nehmen. Rom zum Sitze seiner
Herrschaft und Italien einig zu machen, aber an die Ausführung solcher
kaiserlichen Pläne war nicht zu denken.
Die Kardinäle wählten Jnnocenz IV., der, als Kardinal des Kaisers
Freund, als Papst nach vergeblichen Friedensversuchen sein Todfeind
wurde; denn „kein Papst konnte Ghibelline sein", wie Friedrich selbst
bemerkte, und dieser Jnnoeenz am wenigsten. Er hatte den kühnen Sinn
des dritten Jnnoeenz, war aber noch entschiedener, hartnäckiger und rück-
sichtsloser; er entfloh mit Hülfe seiner Landsleute, der Genuesen, aus
Italien und erneuerte auf dem allgemeinen Konzile zu Lyon, an dem
jedoch wenig deutsche Bischöfe teilnahmen, alle Flüche der Kirche gegen den
Kaiser als einen Ketzer uud Mrchenränber. Alle Anerbietuugen des Kaisers,
alle Berteidiguugsgründe des mutigen und besonnenen kaiserlichen Gesandten
Thaddäus von Sessa wurden heftig zurückgewiesen, und mit schauerlicher
Feierlichkeit wurde Friedrich als ein von Gott Verworfener aller
seiner Kronen verlustig erklärt, wurden alle seine Völker ihres
45. Eides entbunden, alle seine Anhänger mit Bann und Interdikt
belegt. Als die versammelten Prälaten die brennenden Kerzen zur Erde
warfen, daß sie erloschen, wie des Kaisers und seines Hauses Glück und
Macht verlöschen sollten, rief Thaddäus von Sessa, sich an die Brust
schlagend: „Das ist der Tag des Zornes, der Trauer und des Verderbens!
Nun werden die Ketzer jubeln und die Tartarenherrschen?" und verließ
*) die bis Schlesien vorgedrungen waren. § 121.