Rückblick auf das Altertum. I. Deutsche Stammesgeschichte. 21
und Kaiser Augustus zerriß bei der Schreckensbotschaft sein Gewand und
rief in übergroßem Schmerze: Varus, Varus, gieb mir meine Legionen
nieder! — dem Jupiter wurde», neue Spiele gelobt, wenn der Staat
bewahrt bliebe. Doch die Deutschen dachten an keine Eroberungen und
begnügten sich mit der errungenen Freiheit.
Nach der „Hermannsschlacht" streuen die Römer wieder den
Samen der Zwietracht; Segeft, Armins feindlich gesinnter Schwiegervater,
verrät die deutsche Sache an den römischen Feldherrn Germanikus, und
Armins eigener Bruder bleibt beharrlich in römischen Diensten. Auf
mehreren Rachezügen dringt Germanikus tief in Deutschland ein, doch
wird er von Armin zum Rückzüge genötigt, und mehrmals droht ihm des
Varus Schicksal, bis Kaiser Tiberius, eifersüchtig auf seines tapferen
Neffen Ruhm, ihn abruft unter dem Vorgeben, daß die germanischen
Völker am besten ihrer inneren Zwietracht überlassen blieben.
Die Ansicht des Tiberius bewährte sich: zwischen Armin und Marbod,
jenem hochstrebenden Markomannenfürsten, der durch Vereinigung der
suevischeu Völker zwischen Donau und Elbe ein germanisches Reich
nach römischem Vorbilde mit dem Herrschersitze in Böhmen zu gründen
suchte und die Beteiligung am Freiheitskampfe abgelehnt hatte, konnte
bei den entgegengesetzten Bestrebungen derselben ein Kamps nicht ausbleiben.
Marbod wendet sich vergeblich an Kaiser Tiberius um Hilfe, wird endlich
durch einen gotischen Edlen von seiner Königsburg, seinen Schätzen, aus
seinem Reiche vertrieben und sindet, verachtet von den Römern, einen
Gnadensitz in Ravenna. Armin — dem die erste Einigung bisher zer-
splitterter Naturvölker voll unbändigen Freiheitssinnes gelang, der, nnge-
beugt durch den Verlust seiner Gattin Thusnelda, die der eigne Vater
in römische Gefangenschaft lieferte, die deutsche Unabhängigkeit un-
ermüdet weiter verfocht, dem Hasse der eifersüchtigen Edlen zum Trotz —
starb im 37. Jahre seines Alters, im 12. seiner Feldherrnschaft durch
die Hand des Neides und der Eifersucht. Mit Recht ist ihm von
deutscher Begeisterung auf feiner Siegesstätte ein gewaltiges Standbild
errichtet, ein Mahnzeichen zur Wahrung neu errungener deutscher Einheit
und zum einigen Zusammenhalten gegen drohende Fremdherrschaft; denn
er ist ohne Zweifel Deutschlands Befreier, der das römische Reich
im Zustande höchster Blüte erfolgreich bekämpft hat, in Schlachten Wechsel-
füllen unterworfen, im Kriege nicht besiegt. — Nach seinem Tode be¬
kämpften sich noch lange Zeit die deutschen Stämme in traurigem Zwist.
Deutsche Völkervereiue und ihre Angriffe auf das römische Reich.
§ 13. Zunächst beschränkten sich nun die Römer auf Verteidigung
ihrer Rhein- und Donaugrenze; vergebens hatten sich die Bataver
am Niederrhein im Bunde mit Nachbarstämmen unter ihrem kühnen Führer
Claudius Civilis erhoben, geleitet von der Seherin Velleda, die von
einem Turme im Bruktererlande herab ihnen Rat erteilte; nachdem sie
bis nach Gallien hinein ihren Sieg getragen hatten, waren sie der unter
Vespasian neu erstarkenden Macht ber Römer erlegen. In der glücklichen