34 Erste Abteilung. Erster Abschnitt. Zweites Kapnel.
die Laster einer verdorbenen Zivilisation annahmen. Theodorich wußte
mit hohem klugem Sinne noch zu vermitteln. Ihm lag die Erhaltung
der römischen Bildung und Gelehrsamkeit am Herzen, er setzte hohe
Summen aus, Prachtgebäude und Kunstwerke, die ihn bei seiner Anwesen-
heit in Rom mit Bewunderung und deren Trümmer ihn mit Rührung
erfüllten, zu erhalten und wieder herzustellen; aber seine Krieger hielt
er von den römischen Schulen zurück, denn er meinte: der Knabe,
der vor der Rute des römischen Schulmeisters gezittert hat, wird niemals
ein Schwert ohne Furcht anblicken. Die edlen Jünglinge sollten auch
ferner nach dem Wunsche der Volkshäupter aufwachsen im Heldenwerk
nach der Väter Sitte. Dabei behielt er alle römischeil Staatseinrichtungen
und Gesetze für die römischen Bürger bei; die edelsten und klügsten
Römer verstand er auszuwählen; er zog sie als Ratgeber in seine
Nähe und übertrug ihnen die Leitung der verschiedenen Zweige der Staats-
Verwaltung. Italien genoß uuter seiner Herrschaft eines lang entbehrten
goldnen Friedens und großer Sicherheit für Handel und Wandel; er
ließ Sümpfe austrocknen, die Bergwerke ausbeuten, dem Volke nach alter
Weise Tierkämpfe aufführen und Brot austeilen. Unter seinen germanischen
Stammverwandten waltete er als ein Völkerhirt und Friedenshort.
Die Könige der Franken, Burgunder, Westgoten, Vandalen und Thüringer
waren durch Heirat seine Verwandten, und wie ein Vater ermahnte er
sie zu Frieden und Einigkeit. Wie er in Devotion gegen den oströmischen
Kaiser verharrt, ihn „der Welt heilbringenden Schutz nennt, die eigne
Herrschaft ein Abbild seines edlen Musters", so erkennt ihn auch dieser
als Herrscher von Italien, Sieilien, von einem Teile des südlichen Galliens,
den Alpenländern und dem Donaugebiete bis tief in Pannonien und
Dalmatieu hinein an.
Der Gegensatz zwischen Goten und Römern in Bezug auf Sprache,
Bildung nnd politische Stellung wurde gegen Ende der Regierung Theo-
dorichs verbittert durch den kirchlichen. Obwohl samt seinem Volke
dem arianischen Christentnme ergeben, hatte Theodorich die katholische
Kirche seines Reichs nie in ihren Rechten gekränkt, und es hatte in Italien
dieser kirchliche Gegensatz lange Zeit nicht wie anderswo zu heftigen Feind-
seligkeiten geführt. Als aber ein katholischer Kaiser auf den Thron zu
Konstantinopel kam und die Arianer verfolgte, regte sich in vielen Römern
das Verlangen, unter seine Herrschaft zu kommen, und erwachte in
Theodorich der Argwohn, der Untreue fürchtet, und der Unmut, der
sich durch Undank gekränkt fühlt. Umdüsterten Gemüts schenkte er der
Anklage gotischer Höflinge gegen angesehene, von ihm bisher hochgeehrte
römische Senatoren auf verräterische Verbindung mit dem oströmischen
Kaiser Glauben und ließ den berühmten Philosophen Bosthius, sowie
dessen greisen Schwiegerwater hinrichten. Theodorich erkannte aber bald
sein Unrecht, und tiefe Reue verbitterte ihm seine letzten Lebens-
tage. Die Sage berichtet, daß ein großer Fischkopf mit geöffnetem Maule
und großen Augen auf der königlichen Tafel in der aufgeregten Phantasie
des Königs sich allmählich in das verzerrte Antlitz des Hingerichteten.