Full text: Das Mittelalter (Teil 2)

II. Geschichte des Frankenreiches. Zweites Kapitel. 71 
wie zusammengewachsen war, so der hochblonde, blauäugige, wildtrotzige 
Sohn des Nordens mit seinem Hochschnäbeligen, behenden Ruder- und 
Segelschiffe. An den Küsten Britanniens waren diese Seehelden oder 
Wikinger als Dänen, in Rußland als Waräger, an den Nordseeuseru 
Frankreichs und Deutschlands aber als Nordmänner oder Normannen 
gefürchtet. Schon den gewaltigen Karl beschlicheit bange Ahnungen von 
ihrer zukünftigen Furchtbarkeit für die Länder seines Scepters, und mit 
Recht, denn nach seinem Tode kamen sie häufig in großen Scharen, 
suchten nicht nur die Küsten schwer heim, sondern drangen ungescheut 
durch die Mündungen der Flüsse oft tief in das Innere der Länder 
hinein. Sie eroberten und plünderten die Städte, raubten unter Mord 
und Brand das Land ringsum aus, schleppten zahlreiche Gefangene fort 
und verschwanden eben so schnell, wie sie Plötzlich und unerwartet erschienen 
waren, so daß der aufgebotene Heerbann oft das Nachsehen hatte. So 
drangen sie auf der Seine bis Paris, auf der Loire bis Orleans, auf 
der Garonne bis Toulouse, auf dem Rhein bis Köln und Bonn, auf dem 
Tajo bis Lissabon, auf dem Guadalquivir bis Sevilla und der Elbe bis 
Hamburg, welche Stadt, die erst durch Ludwig den Frommen gegründet 
und zu einem Bistum erhoben war, sie 846 vollständig ausraubten und 
zerstörten. Am meisten wurde Frankreich von ihnen heimgesucht, besonders 
unter dem unkriegerischen Karl dem Kahlen, unter dessen schwacher 
Regierung sich ein normännischer Häuptling in Paris festsetzte und 
nicht eher abzog, bis ihm der schwere Tribut von 7000 Pfund Goldes 
gezahlt wurde. Weit und breit gefürchtet war der Seekönig Hostings; 
er plünderte abermals Paris, wendete sich nach Empfang eines schweren 
Lösegeldes nach Rom, raubte es aus und schleppte nebst reicher Beute 
die schönsten Mädchen und Frauen mit sich fort, warf sie aber, Menschen 
und Schätze, ins Meer, als ein Sturm die schwerbefrachteten Schiffe zu 
vernichten drohte. Alsdann fuhr er die Rhone hinauf und ließ nicht 
eher ab, die Christenwelt zu ängstigen, als bis er selbst Christ wurde 
und unter dem Namen Gras von Chartres sich zu Karls Vasallen 
machen ließ. 
Seit in Norwegen König Harald Schönhaar alle dortigen Fylken 
unter seine straffe Herrschaft brachte, entzogen sich viele Normannen, 
Könige und Hofherrn, aus angeborener Freiheitsliebe seinem Machtgebote, 
indem sie entweder nach Island auswanderten oder sich wildem Seeräuber¬ 
leben ergaben, und so mehrten sich die normannischen Raubzüge. Unter 
Führung Gottfrieds hatten die Wikinger das niederrheinische Uferland 
bis Koblenz und Trier bereits grausam verwüstet, als Karl der Dicke 
mit dem allgemeinen deutschen Heerbanne gegen sie heranzog und sie in 
ihrem festen Lager an der Maas einschloß. Anstatt sie aber in einem 
Verzweiflungskampfe zu vernichten, schloß Karl einen Vergleich mit 
Gottfried ab, in welchem dieser versprach, Christ zu werden, wogegen er 
einen großen Teil Westfrieslands zur festen Niederlassung und 2000 Pfund 
Goldes erhielt. Von hier aus brachen bald darauf 40000 Normannen 
unter demselben Gottfried und nach seiner verräterischen Gefangennehmung
	        
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