1. Kapitel: Vorbereitung der Reformation. 21
nachtsspiele, von einem unbekannten Verfasser, werden die Schelmen-
stücke und Eulenspiegeleien in frivol spottender Weise vorgeführt,
die der Pfaffe Amis verübt, von dem der „Stricker" (Strichaere)
schon im 13. Jahrhundert erzählt hatte. Sebastian Brant, der
echt deutsch-patriotische Stadtschreiber seiner Vaterstadt Straßburg,
geißelt dagegen von einem ernsten ethischen Standpunkte aus die Ge-
brechen seiner Zeit in seinem „ N a r r e n s ch i f f e, " einem großen Lehr¬
gedichte, das 1494 mit vielen Holzschnitten erschien. Das Leben kommt
ihm wie eine große Fastnacht vor, und er wählt sich daraus eine große
Anzahl Narren, die er in sein Narrenschiff einsteigen läßt, um mit ihnen
nach Narragonien zu fahren. Unter dieser Allegorie beleuchtet er in
114 Abschnitten eine Reihe menschlicher Thorheiten und Verkehrtheiten,
indem er nach biblischer Auffassung auch die Bösen als Narren dar-
stellt. Obwohl er an seiner Kirche festhält und rät, schlicht einsältiglich
zu glauben, was dieselbe lehre, und obgleich er nicht gegen den Papst
und die Römlinge polemisiert, rügt er doch freimütig die Mißbräuche
und Verderbnisse, die in der Kirche eingerissen waren, und er ahnt
bereits die Gefahr, die St. Peters Schiffe drohte:
Sanct Peters fchiflin ist im schwank,
Ich sorg gar vast den undergank,
Die wellen schlagen all seit dran,
Es Wirt vil stürm und plage halt.
An andern Stellen werden das Treiben der Bettelmönche, der Reliquien-
Handel, die Simonie, die Häufung der Pfründen auf einen und den-
selben Inhaber und andere Übelstände ernst gerügt. (König.) Brants
Freund, der berühmte Prediger am Straßburger Münster Geiler von
Kaisersberg, der eine Läuterung des geistlichen Standes vom kirch-
lichen Standpunkte aus erstrebte, ehrte dieses lehrreiche Buch, indem er
110 Predigten in deutscher Sprache darüber hielt. Auch im Eulen-
spie gel und in der Bearbeitung des Reineke Voß vom Jahre
1498 werden die gemeinen Pfaffen mit ihren ärgerlichen Haushaltungen
als unsittlich, dumm und gierig verspottet. — Während so in der
deutschen Literatur die Moral des nüchternen Verstandes einflußreich
für die EntWickelung der öffentlichen Dinge hervortritt, wendet sich der
deutsche Geist von dem romantischen Stoffe des Mittelalters pro-
saisch ab, der indes in Italien zu großartigen und glänzenden
Werken der Poesie umgeschaffen wurde, die in schöner Form mit den
Denkmalen des Altertums wetteifern.
In Italien erwuchs nämlich zu Ende des 15. Jahrhunderts
aus dem neuerwachten Studium der klassischen Schriftsteller
des Altertums eine aus dem Geiste der Antike wiedergeborene freie
Wissenschaft, die bald in unversöhnlichen Gegensatz trat gegen die
den menschlichen Geist in Fesseln legende kirchliche Scholastik. Bald
beherrschte hier diese neue geistige Bildung alle freiem Geister, und sie
fand am päpstlichen Hofe, besonders in Leo X. (§ 5), begeisterte An¬
hänger. So ward, was im Gegensatz zu dem Geiste der