Full text: Lehrbuch der Geschichte für realistische Mittelschulen

Rückblick auf das Altertum. Mittelalter. Christentum. 97 
Sie baute sich auf der Religion auf und diese war mit Ausnahme der israeli- 
tischen in der Hauptsache Vergötterung der Zlatur. In der Natur herrscht 
nun der Kampf ums Dasein, das Recht des Stärkeren, der Egoismus 
(Selbstsucht). Mit der Vergötterung der Natur mußte dieses Naturgesetz 
auch in die religiösen Vorstellungen der Menschen übergehen. Zeus regiert 
durch das Recht des Stärkeren; er bändigt die schwächeren Götter durch 
seinen Blitz. Nach dem Muster dieser Götter bildeten sich auch die Menschen 
des Altertums. Stets haben die Stärkeren die Schwächeren rücksichts- 
los niedergetreten, am deutlichsten sieht man das an den kraftvollen Römern. 
Sollte die Menschheit nicht zugrunde gehen, so mußte eine vollständig um- 
gekehrte Welt- und Lebensanschauung zur Herrschaft gelangen. Statt des 
„Rechtes des Stärkeren" mußte das „Recht des Schwächeren" anerkannt 
werden, nämlich das Recht auf Schonung, auf Mitleid, auf Liebe von feiten 
des Stärkeren. 
Dieses neue Recht erweiterte sich allmählich zum Anspruch auf Hteich- 
öerechtigung asser Menschen und damit hatte die neue Religion eine sitt¬ 
liche Forderung aufgestellt, die, wenn sie zur Anerkennung gelangte, tatsächlich 
eine Neubildung der Kulturwelt herbeiführen konnte. 
Neubildung der Kulturwelt durch Christentum 
und Germanentum. (Mittelalter.) 
Das Christentum. 
Im allgemeinen waren die Römer gegen fremde Religionen sehr 
duldsam; das waren sie anfangs auch gegen das Christentum, solange 
sie glaubten, daß es nur eine Sekte neben anderen sein wolle. Als 
aber die Römer allmählich merkten, daß die christliche Lehre, wenn sie 
wirklich betätigt wurde, die bisherige Welt- und Lebensauffassung zwar 
langsam, aber sicher und gründlich umändern müsse, wurden sie auf die 
neue Religion aufmerksam und nun war es mit der Duldsamkeit vorbei. 
Zunächst beobachtete man die Christen sorgfältig, um etwaige Unsitt- 
lichkeit, Auflehnung gegen die Staatsgewalt, Ungehorsam gegen die Ge- 
setze u. dgl. an ihnen zu entdecken; man konnte jedoch nichts sinden. 
Die Christen übertrafen an Sittlichkeit, Gehorsam, Staatstreue 
vielfach die Nichtchristen. Als man die Bekenner der neuen Lehre auf 
diese Weife nicht fassen konnte, verlangte man von ihnen, daß sie sich 
an den heidnischen Opfern und vor allem an der göttlichen Verehrung 
der Kaiser beteiligten. Dies konnten dieselben nach ihrer Überzeugung 
nicht und nun hatte man einen Vorwand: man beschuldigte sie der Auf- 
lehnung gegen die Majestät der Kaiser. Die Verfolgungen begannen 
Lorenz. Lehrbuch. ^
	        
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