Die griechische Geschichte.
§ l.
Der griechische Volkscharakter.
I. Es ist nicht immer so, daß ein Land sich sein Volk bildet. Die
Griechen waren kein passives (um mit Bismarck zu reden), sondern ein
aktives Volk, „eine männliche Volksindividualität", die wohl die durch den
Landescharakter gegebenen Förderungsmittel zur Entwicklung ihres Volks¬
charakters benutzten, sie aber gemäß ihrer inneren Anlage ausbildeten.
Während dem ägyptischen Lande der Nil nicht nur sein physisches, sondern
auch sein politisches Dasein schenkte, ist es für die griechische Geschichte
von grundlegender Bedeutung, daß in dies Land ein Volk einzog, ausge¬
rüstet mit den höchsten Gaben des Körpers und des Geistes.
II. 1. Das griechische Volk — ein Volk tiefsinniger Klarheit.
a) In ein Land reich an Schönheiten verschiedenster Art kamen sie
gezogen. Unter dem heiterblauen Himmel schaute das Auge des Griechen
bald auf immergrüne Cyprefsen und schlanke Ölbäume, bald auf wild zer¬
hackte Felspartien. Die klare Luft ließ plastisch und in scharfen Linien
heraustreten, was am Horizonte sich zeigte, die Linien der Gebirge, die
zackigen Felsspitzen, das Geklüfte der cykladischeu Inseln. Und allüberall
das „unendliche" Meer mit seinen ebenmäßig wogenden Wellen, seinen
weißen Segeln. All diese Schönheit trank das durstige Auge des Griechen
ein; an ihr berauschte sich seine Seele. Diese scharf und klar sich ab¬
hebenden Linien täglich schauend, faßt er sie innerlich auf, versenkt sich in
diese Linienführung und Formengebung der Natur. Die so zum innern