Full text: Vom Westfälischen Frieden bis auf unsere Zeit (Bd. 2)

Die Begründung der preußischen Großmacht durch Friedrich II. 123 
vor allem zum Gedeihen des Staates, nicht in unklarer Begeisterung 
niederreißen und neuaufbauen, das war sein Staatsgrundsatz. „Das ist 
der souveräne Zug seiner Natur: die schrankenlose, leidenschaftliche Hin- 
gäbe an den Staat, an seinen Staat, mit dessen Tendenzen und Interessen 
er sich ganz erfüllt, dessen erster Diener er nur sein will, dem er aber in 
unendlich höherem und edlerem Sinne als Ludwig XIV. sein eigenes 
Ich gleichsetzen darf und wirklich gleichsetzt. Wie eine zeitlose Gottheit 
steht sein Staat über ihm; aber so hoch der Staat auch über dem sterb- 
liehen einzelnen schwebt, so gewinnt er dennoch in Friedrich Fleisch und 
Blut; ber Mann und die Sache sind in Wahrheit eins." „In wunder¬ 
barer Form weiß er seine großen königlichen Gaben in ben Dienst seines 
Staates zu stellen, seine Kräfte ihm einzuhauchen. Seinen burchgreifenben, 
stählernen Willen, ber über eine Welt von Schwierigkeiten Herr wirb, 
der sich mit bem Willen bes Staates zur Macht verschmilzt unb eins 
wirb; seinen bnrchbringenben, scharfen Verstanb, der Menschen und Dinge 
bis ins Innerste durchschaut, vor dem das Getriebe der Regiernngs- 
Maschine bis zum kleinsten Rädchen offen liegt; seinen Glauben an das 
Schicksal, der ihm mit allen Helden der Tat gemeinsam ist, der ihn mit 
stolzer Sicherheit das Vaterland den schwersten Gefahren entgegenführen 
läßt. Und neben und über diesem allen schwebt ohne jede mystische Bei- 
tat das stete, volle Bewußtsein seiner königlichen Verantwortung, das ihn 
das unscheinbarste Verwaltungsgeschäft des Tages ebenso sorgsam zu be- 
achten zwingt, wie die großen Entscheidungen des kritischen Moments, 
das die ungestümen, feurigen Triebe seines Temperaments bändigt und 
ihn nicht wie Napoleon von dem Sturmwind seines Dämons regieren 
läßt. Aus ihm schöpft er, von den Gedanken der antiken Moralisten zu- 
gleich getragen und erhoben, jene unvergleichlich heroische Kraft der Seele, 
die ihm in den schlimmsten Tagen des Lebens, in den härtesten Krisen 
des Staates die vollendetste Ruhe gibt, die ihn über die feinbliche Welt 
hinaus in eine Höhe trägt, wo ihm angesichts bes Universums alles 
Menschliche unenblich klein zusammenschrumpft, tief unter ihm im wesen- 
losen Scheine liegt" (Wteganb, S. 162 ff.). 
3. Man hat Friedrich oberflächlich-geistreich einmal einen tragischen 
Charakter genannt, habe er boch — unb so sagt er selbst einmal — seine 
Jugenb dem Vater, Manneskraft und -alter dem Staate geopfert. Wer 
so sagt, hat den Mann nie verstanden, für den kaum Freundschaft, nicht 
Weibesliebe und Familienglück, sondern nur Arbeit und Mühe für sich 
selbst im höchsten Sinne, für sein anderes Ich, den Staat, Lebensinhalt und 
Lebenskraft waren; der hat auch nie die tiefen Abgründe, an denen der jngend- 
liche Prinz, der feine Genußmensch und sich selbst lebende französische 
Schöngeist, vorbeiwandelte, in all ihrer Furchtbarkeit erkannt. Es war doch
	        
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