Die Ursache, der Verlauf und die Folgen der französischen Revolution 175
Und so klingt es immer wieder hindurch durch die mit verzückter Be¬
geisterung und dichterischem Glanz verfaßten Schriften: unselig ist alles, was die
Kultur uns gebracht; zurück zur Mutter Natur, in die Zeit paradiesischer
Unschuld, da Glück und Friede, Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit
auf Erden geherrscht. All das, was Königtum, Adel und Geistlichkeit an
Vorrechten haben, ist ein Raub an ihren Volksgenossen, ein Verbrechen
wider die heilige Natur. Gleichheit und Freiheit im großen seligen Na-
turzustand gilt es zu erstreben.
Es ist die Leuchtfackel der Revolution, die durch diesen Haß gegen
alles Gewordene und Bestehende, diese Leidenschaft für ein seltsam
phantastisch Gedankengebilde der Urzeit hindurchschimmert.
c) In politischer Hinsicht. Wie Rousseau mit allem Fanatis-
mus der Leidenschaft gegen das despotische Königtum, für eine demokratische
Staatsform auftrat, so hat namentlich Montesquieu das Ansehen des
Königtums untergraben und der Revolution vorgearbeitet. In seinen
persischen Briefen geißelte er mit leichtfertigem Spott und geistvoller Ironie
jene Welt der Ränke und der Lüsternheit, wie sie der französische Königshof
abbildete; in feinen Betrachtungen über die Ursachen der Größe und des Ver-
falls der Römer und ihres Staates hält er eine feurige Predigt von
Römerpatriotismus, republikanischer Bürgertugend, fanatischer Freiheits-
liebe, von der Pflicht des Tyrannenhasses und dem Recht des Tyrannen¬
mordes. In seinem „Geist der Gesetze" endlich weist er der kommenden
Zeit mit philosophischem Ernst und ruhiger Klarheit den Weg zu einer
neuen Staatsverfassung. Freiheit und Unterordnung, Gesetz und Volks-
geist verbinden sich im Staate. Weil der Absolutismus jegliche Freiheit
unterdrückt, das Volk zum blinden Werkzeug herabwürdigt und so die
Ursache aller Entartung und Sittenverderbnis wird, ist er als die schlechteste
Staatsform zu verwerfen. Erscheint Montesquieu die Verfassung am
idealsten, in der wirklich das Volk vom Volk gelenkt werde, die republi¬
kanische, so ist er doch geschichtlich genug geschult, um einzusehen, daß sie
nur bei hohem Bürgersinn durchzuführen möglich ist. So wird denn der
Zweck des Staates, die Darstellung gesetzlicher Freiheit, am besten
erreicht durch die konstitutionelle Verfassung, wie er sie in England kennen
gelernt hatte: die gesetzgebende, richterliche, ausführende Gewalt sollten
scharf voneinander gesondert sein. Dann würde das Ideal bürgerlicher
Freiheit erreicht, dem Staatsbürger die Sicherheit gegeben sein; dann würde
er gern tun das, was er solle (nicht das, was er wolle).
Überall in den Kreisen der vornehmen Welt, die da mit geistreichen
Witzen und lüsternen Scherzen auf der dünnen Decke des feuerheißen
Vulkans noch sich vergnügte und gar nicht ahnte, wie bald das, worüber
man heute noch sich spöttisch freute, in die rauhe Wirklichkeit umgesetzt