Full text: Vom Westfälischen Frieden bis auf unsere Zeit (Bd. 2)

28 Das Zeitalter des Absolutismus 
Menschenkenntnis, einem vollkommenen Verständnis seiner Zeit mit ihren 
Leidenschaften, Lüsten und Ränken geißelte er die Gebrechen und Schwächen 
seiner Zeit (Le Misanthrope — L'Avare). Im vollendetsten seiner 
Dramen, Le Tartuffe, schildert er jene scheinheiligen Gesellen, die 
die Religion zum Deckmantel ihrer selbstsüchtigen Gelüste nehmen. Tartuffe, 
ein gemeiner, lüsterner, äußerlich aber überaus frommer Mann weiß sich 
in das Vertrauen eines reichen Bürgers einzuschleichen: er wird sein 
Schwiegersohn, versucht ihn mit seiner Frau zu betrügen, er wird sein 
Gesamterbe und sucht ihn am Gipfelpunkt seiner Frechheit aus seinem 
Besitz zu verjagen, bis endlich der allmächtige König einschreitet, in seiner 
erhabenen Weisheit die Wahrheit genau durchschaut und mit souveräner 
Vollmacht den Schwindler bestraft, den Bedrohten wieder einsetzt. 
Wir dürfen zusammenfassend sagen: 1. Das französische Drama läuft, 
welchen Inhalt es auch sonst haben mag, immer in eine Verherrlichung des 
absoluten Königtums aus. 2. Nicht das gewaltige Schicksal großer Menschen 
in einer von Leidenschaft und Begeisterung durchglühten Seele nachzu- 
empfinden und aus den Tiefen des Innern heraus wuchtig und wahr in 
Sprache und Darstellung das Künstlerwerk hervorbrechen zu lassen, ist 
jenen Dichtern höchstes Ziel, sondern das Reizend-Anmutige in glatter, 
eleganter Form darzustellen; durch Schönheit und Regelmäßigkeit der Form, 
durch äußeren Schliff wollen sie glänzen. 3. Auch im Drama herrscht die 
Regel: sowohl in der Form (der langweilig-abgemessene Alexandriner) 
als auch in dem Aufbau (das eigenartige Festhalten am aristotelischen 
Gesetz von der Einheit der Zeit, des Orts und der Handlung). So bringt 
sich auch Hier der alles eigenartige, freie Leben erstickende Geist des 
absoluten Königtums mit seinem Verlangen nach Beweihräucherung, seiner 
Forderung nach Einschnürung in veraltete oder verschnörkelte Formen 
zum Durchbruch. 
Der Pracht und Majestät des Sonnenkönigs entspricht auch der 
in seinen Schloßbauten zutage tretende Baustil, das Barock. „Das 
Barock beseitigte die feinen Formen des plastischen Ornaments der Renais- 
sance. Die Licht- und Schattenwirkungen sollten voller werden; also 
wurde das Relief stärker betont, die Ausführung vergröbert. Die Ge- 
simse wurden wuchtig, die Prosile luden aus. Die geraden Konstrnktions- 
teile erhielten Schwingungen zur Erzielung von Licht- und Schatten- 
Wirkungen. Die gewundenen Säulen, die geschweiften und gebrochenen 
Giebel kamen auf. Gewaltige Treppen mit niedrigen Stufen umrahmten 
den Baukern. Wie Hier Energie, berauschendes Machtgefühl, Tendenz zum 
Majestätischen und zugleich Aufregenden, kurz das herrschte, was man 
maniera grande nennt, so nicht minder in der Art der baulichen Gesamtan¬ 
lagen. Zunächst feine behagliche Breite, kein Sichgehenlassen, sondern Zu-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.