Full text: [Teil 1 = Vorstufe] (Teil 1 = Vorstufe)

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3. Wie Siegsried nach Worms kam. 
In Worms erwuchs Kriemhild, die edle Königstochter, unter der Obhut 
ihrer Mutter Ute. Ihre drei Brüder, Gunther, Gernot und Giselher, be- 
herrschten mit milder Hand das Land der Burgunder. Als Siegfried von der 
schönen Kriemhild hörte, beschloß er, um sie zu werben. Mit 12 stolzen Recken 
zog er wohlgemut nach Worms. Hier sand er freundliche Aufnahme bei 
Gunther und seinen Brüdern. Fröhliche Kampfspiele wurden ihm zu Ehren 
auf dem Hofe der Burg veranstaltet, und allen Rittern und Knappen tat es 
Held Siegfried zuvor. Aber die schöne Kriemhild bekam er nicht zu sehen. 
Nur verstohlen schaute sie vom Fenster aus den Kampfspielen zu. Ein volles 
Jahr weilte Siegfried am Hofe zu Worms, ohne die holde Maid gesehen zu 
haben. Da kam die Kunde, daß die Sachsen und Dänen ins Burgunderland 
eingefallen seien. Siegfried bot den Brüdern seine Hilfe an. Er zog mit 
seinen Recken in den Kampf und nahm den Sachsen- und den Dänenkönig 
gefangen. Ein Bote brachte die Siegesnachricht nach Worms. Als Kriemhild 
die Kunde vernahm, harrte sie froh der Ankunft des Helden. Endlich kam 
die siegreiche Schar, allen voran leuchtete Siegfried. Am Pfingsttage veran- 
staltete Gunther dem Helden zu Ehren ein fröhliches Fest. Auf diesem erschien 
auch Kriemhild. Wie das Morgenrot hervortritt aus den Wolken, wie der 
Vollmond vor den Sternen schwebt, so war sie anzuschauen. Rote und grüne 
Edelsteine leuchteten von ihrem Gewand und von dem Goldreif im wallenden 
Haar. Mit Wonne und Entzücken betrachtete Siegfried die Jungfrau. Auf 
Gunthers Geheiß grüßte sie ihn, und er durfte nun mit ihr reden. Zwölf 
Tage dauerte das Fest, und täglich sah man den Helden bei der wonnevollen 
Maid. 
4. Wie Gunther um Brunhild warb. 
Jenseit des Meeres wohnte auf Jsenland die Königin Brunhild. Sie 
war von großer Schönheit und wunderbarer Kraft. Wer um sie warb, mußte 
sich mit ihr messen im Speerwerfen, Steinschleudern und Springen. Schon 
mancher edle Ritter war ihrer Kraft unterlegen und hatte seine Kühnheit mit 
dem Leben bezahlen müssen. Nach dieser Königin stand Gunthers Begehr. 
„Willst du mir helfen, Siegfried?" fragte er. „Gern," sagte Siegfried, „will 
ich dir in dem Kampfe beistehen. Aber einen Lohn begehre ich dafür: gib 
mir deine edle Schwester Kriemhild zum Weibe." Gunther ward darüber 
froh und gelobte mit einem Eide: „Gewinn' ich die stolze Jungfrau, so geb' 
ich dir meine Schwester zum Ehgemahl." Gegen dies Versprechen war Sieg- 
sried gern zur Fahrt bereit. Ein Schiff ward ausgerüstet, uud nach 12 Tagen 
kamen sie auf Jsenland an. „Was bedeutet eure Fahrt?" fragte Brunhild 
Siegfried, den sie schon von früher kannte. Siegfried entgegnete: „Dieser 
Recke,_ mein Herr und König, will um euch werben." Alsbald legte die 
Königin ihren goldenen Panzer und ihr seidenes Waffenhemd an und ließ 
ihren Ger (Wurfspieß) holen. Der war so lang und schwer, daß drei Männer 
ihn kaum zu tragen vermochten. Über dem Schafte glänzte furchtbar schneidiger 
Stahl. Darauf brachten 12 Recken mit Mühe und Not einen schweren Mar-
	        
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