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war die Liebste mein, sie hatte mir Trene geschworen." Dabei zeigte er ein
goldenes Ringlein vor. Da lächelte Gndrun und sprach: „Wohl kenn' ich
dieses Ringlein, vorzeiten war es mein." Dann zog auch sie ihren Ring vorn
Finger. Nun erkannten sie sich und umarmten und küßten einander. Herwig
riet, schnell mit den beiden Frauen zu entfliehen. Aber Ortwein weigerte sich
des und sagte: „Und Hütt' ich hundert Schwestern, ich ließe sie lieber sterben,
als daß ich sie so feige sollte stehlen." Die beiden Degen eilten darauf zur
Barke und fuhren von dannen. Herwig rief den Frauen noch nach: „Eh'
morgen die Sonne scheint, bin ich vor der Burg mit 60000 Helden!"
6. Wie Gudrun befreit ward.
Wehmütig schauten die Frauen am Strande der Barke nach, bis sie ihren
Blicken entschwunden war. Zum Waschen der Leinwand aber dünkte sich jetzt
Gudrun zu hehr; in ihrem Übermute warf sie sogar die Leinwand in die
Flut. „Und ob sie bis morgen mich mit Besen schlügen," rief sie in freudigem
Stolze, „daran werde ich nicht sterben!" Als sie ohne Wäsche zur Burg
kamen, schmähte Gerlinde Gudrun und wollte sie züchtigen lassen. Um die
Schmach von sich abzuwenden, gab Gudrun vor, sie sei nun geneigt, Hart-
muts Gemahlin zu werden. Gerlinde war voller Freude, und am Abend
saßen Gudrun und Hildburg festlich geschmückt an der Tafel des Königs.
Aber noch ehe die Sonne aufging, standen die Befreier Gudruns vor der
Burg. Es entspann sich ein fürchterlicher Kampf. Unter den Streichen Her-
wigs sank König Ludwig zu Boden. Dafür wollte sich Gerlinde rächen und
Gudrun töten. Hartmut aber wehrte edelmütig der bösen Tat. Er selbst und
seine Schwester Ortrun wurden gefangen genommen. Indes drang Held
Wate in das Frauengemach, ergriff die alte Königin bei den Haaren und
schlug ihr das Haupt ab. Erst als die meisten Normannen in ihrem Blute
am Boden lagen, nahm der Kampf ein Ende.
7. Wie Gudrun heimkehrte und Frieden stiftete.
Mit reicher Beute an Gold, Gewändern und Rossen kehrten die Hege-
linger heim. Auch den König Hartmut, seine Schwester Ortrun und tausend
Geiseln brachten sie mit. Hochbeglückt empfing Frau Hilde ihre Tochter
Gudrun, deren Freundin Hildburg und alle Helden, die mit zur Befreiung
Gudruns ausgezogen waren. Am Strande erhoben sich Zelte, geschmückt mit
grünem Laube. Darin feierte man frohe Feste. Gudrun saß an der Seite
ihres Verlobten Herwig. Ihr Sinn war darauf gerichtet, den Haß in Liebe
zu verwandeln. Darum bat sie ihre Mutter, doch Hartmut und Ortrun nicht
entgelten zu lassen, was deren Mutter Gerlinde ihr Böses zugefügt. Frau
Hilde verzieh den beiden, und nun holte Gudrun ihren Bruder Ortwein, daß
er sich mit der holden Ortrnn verlobe, nnd den König Hartmut, daß er die
treue Hildburg mimte. Die ftüher grimme Feinde waren, saßen nun in Frieden
beieinander.