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XIV. Deutschlands Ringen nach Einheit und Freiheit.
(S. 228—230 und 235—254.)
Die Sehnsucht der Besten des Volkes nach einem Deutschen Kaiserreich
war durch den „Deutschen Bund" bitter enttäuscht worden. Auch das Parlament
in Frankfurt a. M. vermochte 1848 diese Frage nicht zu lösen. Endlich
gelang es Preußen, die norddeutschen Staaten unter seiner Führung zu
vereinigen und mit den süddeutschen Staaten ein Schutz- und Trutzbündnis
abzuschließen. Damit hatte es den Einheitsgedanken einen tüchtigen Schritt
vorwärts gebracht. Die Bundesstaaten entsandten jetzt ihre Vertreter nach
Berlin. Dort tagte auch der norddeutsche Reichstag. Aber erst unter dem
Kanonendonner vor Paris konnten die deutschen Fürsten und Völker vollends
geeint werden, als Wilhelm I. am 18. Januar 1871 in Versailles zum
Deutschen Kaiser ausgerufen wurde.
XV. Deutschlands Weltstellung.
Unter der Führung Preußens hat Deutschland seine alte Kaiserherrlichkeit
und sein früheres Ansehen unter den Völkern wiedererlangt. Diese Macht-
stellnng ist darin begründet, daß unser Volk die Mitte des europäischen Fest¬
landes besitzt, daß es an Volkszahl alle Nachbarvölker außer Rußland über-
trifft, daß es sich durch Tüchtigkeit und Bildung auszeichnet' und unter einem
Kaiser zu einem Volke vereinigt hat.
Dem Ausland gegenüber beruht unsere Stärke auf der Größe und
Schlagfertigkeit unseres Heeres und unserer Flotte. In Friedens-
zeiten stehen etwa 650000 Mann unter den Waffen, und im Kriegsfall sind
5 Millionen kriegstüchtige Männer bereit, dem Ruf des Kaisers zu folgen
und das Vaterland zu schützen. Die Kriegsflotte ist ein starker Schutz unserer
Küsten und unseres überseeischen Handels.
Dieses machtvolle Austreten des Deutschen Reiches den Feinden gegenüber
ist fest gegründet in der inneren Einheit unseres Volkes.
Durch die Reichsverfassung haben die deutschen Fürsten und Völker
ihren gesetzlich geregelten Anteil an der Regierung des Reiches erhalten.
Dadurch ist der Zwist früherer Jahrhunderte beseitigt. Das erbliche Kaisertum
bildet eine Bürgschaft des inneren Friedens.
Die Reichsgesetzgebung hat die Einheit unseres Volkes immer mehr gefördert.
Nach langen Beratungen ist es gelungen, dem deutschen Volke durch die Zivil-
und Strafprozeßordnung und das Bürgerliche Gesetzbuch ein einheitliches
Recht zu geben.
Auf dem Gebiete des Handels- und Verkehrswesens sind die Schranken
gefallen, die früher zwischen den einzelnen deutschen Staaten bestanden. Ganz
Deutschland bildet jetzt ein Zoll- und Handelsgebiet mit einheitlichem
Münz-, Maß- und Gewichtssystem. Ein reger Verkehr hat die alten Gegen-
sätze der Stämme gemildert, das Gefühl der Zusammengehörigkeit gefördert
und den Wohlstand des Volkes gemehrt. Die Landwirtschaft hat sich
günstig entwickelt. Industrie und Handel sind mächtig emporgeblüht.