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Die Entwicklung der Französischen Revolution.
einziehung und dem Tode bedroht, wenn sie nicht bis zum 1. Januar 1792
zurückkehrten. Gegen diese Beschlüsse legte Ludwig sein Veto ein.
Sodann benutzte man die Beschwerden, welche Kaiser Leopold II., dann
dessen Sohn und Nachfolger Franz II. (seit Mürz 1792) wegen der Verletzung von
Hoheitsrechten deutscher Fürsten (S. 65) in Paris erhob, sowie die Umtriebe der
Emigranten in den Grenzländern, um den König gegen seinen Willen zur Kriegs-
1792 erMrung an Österreich und Sardinien zu veranlassen. In den Krieg trat auch
Avrii qiteufjen ein, das kurz zuvor ein Bündnis mit Österreich geschlossen hatte. Durch den
Krieg hofften die Republikaner, den König mit seinen Verwandten zu entzweien
— Franz II. war ein Neffe Ludwigs XVI. — und unter dem Schlagwort „Friede
den Hütten, Krieg den Palästen!" die Revolution über die Nachbarländer zu
verbreiten.
Mit dem Kampf gegen den äußeren Feind ging der offene Angriff
auf den Thron Hand in Hand. Unter dem Vorwand, die Hauptstadt und
die Nationalversammlung schützen zu müssen, beschloß man, 20 000 repu¬
blikanisch gesinnte Nationalgarden aus den südlichen Provinzen zu be¬
rufen und sie mit der Pariser Bebötfenmg zu einer Volksarmee
zu verschmelzen. Auch diesem Beschlusse versagte Ludwig seine Zustim¬
mung; lieber entließ er das Girondisten-Ministerium. Auf das hin ver-
1792 anlaßten die Republikaner in Paris einen Volksaufstand und Tuilerien-
2°' besuch: ergrimmte Pöbelmassen zogen in die Tuilerien und setzten dem
König, der jedoch standhaft blieb, eine rote Jakobinermütze auf. Hatte
am 20. Juni 1789 der dritte Stand die Macht an sich gerissen, so jetzt (drei
Jahre später) der vierte.
Inzwischen traten die verbündeten Preußen und Österreicher ihren „militä¬
rischen Spaziergang nach Paris" an. Als nun ein ungeschicktes Manifest des Bnn-
1792 desfeldherrn Ferdinand von Bramischweig*) die Pariser zur Reue und Unter-
3uIi würsigkeit aufforderte, widrigenfalls die aufrührerische Hauptstadt eingeäschert
würde, flammten Stolz und Entrüstung auch bei den gemäßigten Franzosen empor.
1792 Infolgedessen gelang es den Jakobinern leicht, einen neuen Pöbel-
10.Aug. flu^ttnfo in Paris zu erregen. Zunächst zogen die wilden Scharen2) vor
das Rathaus und erzwangen die Einsetzung eines jakobinischen Gemeinde¬
rates; dann rückten die Massen zum Tuileriensturm heran: die geängstigte
Königssamilie floh in den Sitzungssaal der Nationalversammlung, während
die das Schloß hütende Schweizergarde, der Ludwig das Feuern unter*
*) Neffe des gleichnamigen Helden im Siebenjährigen Kriege.
2) Man nannte sie Sansculotten, weil die Jakobiner nicht die zur Hoftracht ge¬
hörenden Kniehosen (culottes), sondern lange Hosen (pantalons) trugen. An die Stelle
von Zopf und Perücke traten offene Haare, darüber die rote Jakobinermütze, wie sie
bisher die Galeerensklaven getragen hatten. Neben der Jakobinermütze galten die
Freihcitsbäume (hohe Stangen, mit der Trikolore und der Jakobinermütze geschmückt)
als Zeichen republikanischer Gesinnung. Zum Kampflied der Revolution wurde die
Marseillaise (so benannt, weil sie die Pariser zuerst von Freiheitskämpfern aus Mar¬
seille hörten); mit ihrem leidenschaftlichen „Ah, <?a ira!“ reizte sie zum Sturm gegen
die Aristokraten auf.