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Die Zeit der nationalen Staatenbildung.
IV. Friedrich Wilhelm IV. von Preuhen, 1840—1861.
Persönlich- i. Regierungsantritt. König Friedrich Wilhelm IV., der älteste Sohn
Friedrich Wilhelms III. und der Königin Luise, wurde bei seinem Regierungs¬
antritt mit den größten Hoffnungen begrüßt. Er hatte eine sorgfältige Er-
ziehuug genossen, war durch Niebuhr in die Staatswissenschaften ein¬
geführt, im Kriegswesen von Scharnhorst unterrichtet und in den schönen
Künsten von dem Baumeister Karl Friedrich Schinkel und dem Bild-
Hauer Christian Rauch ausgebildet worden. Von Natur aus war er mit
Geist, Witz und Beredsamkeit, mit Sinn für alles Schöne und Edle ausge-
stattet. Aus seinem Wahlspruch: „Ich und mein Haus wollen dem Herrn
dienen", geht der religiöse Grundton seines Wesens hervor, den
er von seiner Mutter, der schwergeprüften Königin Luise, geerbt hatte.
Er war vermählt mit der bayrischen Prinzessin Elisabeth. Als er bei
den Huldigungen in Königsberg und Berlin zu der Bevölkerung sprach,
war die Erwartung allgemein, daß nun ein neues Zeitalter anbreche und
dem preußischen Volke jetzt die ersehnte Verfassung gegeben würde.
2. Der Versuch einer Verfassungsreform. Schon als Kronprinz hatte
Friedrich Wilhelm an den Verhandlungen über die ständische Verfassungs¬
frage teilgenommen. Als König dachte er, die provinzialständische
Verfassung allmählich zur neuen Staatsform umzubilden. Erarbeitete
selbst an einer solchen und wollte die bereits bewilligten Rechte des
Volkes erweitern, dabei aber auch die Rechte des Königs gewahrt haben.
Eine aus mehreren Ministern gebildete Kommission erhielt 1845 den
Auftrag, eine Verfassung auf Grund der Vorarbeiten des Königs aus¬
zuarbeiten. Als der Entwurf fertig war, berief der König 1847 die
^Landtag" einzelnen Provinzialstände nach Berlin zu einem „Vereinigten Land¬
tage", um diesem die künftige Verfassung zur Beratung vorzulegen.
Aber bie Arbeit der Abgeordneten blieb ergebnislos.
3. Die deutsche Märzrevolution 1848. Wie ein zünbenber elek¬
trischer Funke erreichte die Botschaft von dem Sturze Louis Philipps
die deutschen Gaue. Allenthalben trat die stürmische Erregung in all¬
gemeinen Volksversammlungen und Volksaufläufen zutage.
Ä^Volkes" Die Forderungen des Volkswillens waren fast überall gleichlautend:
allgemeine Volksbewaffnung, Preßfreiheit, freies Versammlungsrecht.
Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Rechtspflege, Schwurgerichte und
Volksvertretung bei der Bundesgewalt. In den meisten deutschen Mittel-
und Kleinstaaten wurden die bisherigen Ministerien entlassen und frei-
miXrien heitlich gesinnte, die sozialistischen Märzministerien, eingerichtet, so in
Baden, Württemberg, Hessen-Darmstabt unb Nassau. In Bayern legte
Lubwig I. bie Regierung zugunsten seines Sohnes Maximilian II.
nieber.