96 Das Deutsch-Römische Reich bis zum Ausgange des Mittelalters.
und Regensburg, von wo aus neue Straßen sich durch ganz Deutsch¬
land, an die Ost- und Westsee (= Nordsee), nach Rußland und Skan¬
dinavien, nach England, Holland, Frankreich und den Pyrenäen ver-
zweigten. Von Genua nahm der Handel seinen Weg über den Großen
St. Bernhard oder über den St. Gotthard in das Rheintal, von
wo er ebenfalls nach allen vier Winden weitergeleitet wurde. Auf
Einfuhr, ihrem Rückwege brachten dann die Handelszüge die Erzeugnisse der dor-
tigen Völker und Länder mit. Der Norden und Osten Europas lieferte
Pelze, Talg, Tran, Wachs, Bauholz und Eiderdaunen.
$@etoer6e^e Der deutsche Handel beschränkte sich keineswegs auf die Einfuhr
fremder Erzeugnisse; denn in Deutschland hatte das Gewerbe große
Fortschritte gemacht. In vielen Städten, wie Cöln, Soest, Wien, Frank-
in?u?rie. furt, Magdeburg, Salzwedel, Passau und Regensburg, blühte die Woll-
iudustrie, die sich mit der von Brügge, wo die Tuchfabrikation
50000 Menschen ernährte, wohl messen konnte. Sie war das wichtigste
Gewerke, und die Weberzünfte waren allenthalben infolge ihres Wohl-
standes und der großen Zahl ihrer Mitglieder die mächtigsten und zu-
gleich die übermütigsten Handwerksgenossenschaften. Ihr Hochmut führte
in Cöln einen blutigen Aufstand herbei (die Weberschlacht), in dem
sie gegen den Rat und die mit ihm vereinigten übrigen Zünfte unter-
Industrie lagen. Nächst der Tuchbereitung beschäftigte die Leinwandweberei
eine große Zahl Handwerker. Sie blühte in Westfalen und Hessen,
in Böhmen und Schlesien; am beliebtesten aber war die Leinwand aus
Augsburg, die durch die Feinheit ihres Gewebes bekannt war. Feine
«ed-rwaren. Lederwaren bezog man aus Zürich, Frankfurt und Nürnberg. In
Glasivaren. Zinn- und Glaswaren leisteten Augsburg und besonders Nürnberg
Geschmeide. Hervorragendes. Goldschmiede gab es selbst in Mittlern und kleinern
Städten, und die Anfertigung der fast zahllosen Kriegs- und Jagd-
geräte beschäftigte viele Tausende von Handwerkern. Straßburg und
Magdeburg waren hierin durch ganz Europa berühmt; selbst nach Indien
wurden ihre Erzeugnisse ausgeführt. In ebenso hohem Ansehen stand
Bier, das Brauereigewerke; das deutsche Bier war allgemein begehrt.
So hatten sich die deutschen Handwerker infolge ihres Fleißes und
ihrer Geschicklichkeit an die Spitze aller Nationen gestellt, und der Unter-
nehmungsgeist der deutschen Kaufleute brachte eine Blüte von Ge-
werbe und Handel zuwege, wie sie dem deutschen Bürger erst wieder
in den letzten Jahrzehnten beschieden sein sollte.
Während heute der Kaufmann seine Ein- und Verkäufe in der
Regel von seinem Bureau aus erledigt, war der mittelalterliche Kauf-
mann genötigt, persönlich über Land und Meer zu ziehen. Unsre
heutigen Handels- und Verkehrsmittel, wie Eisenbahnen, Schiffe, Post,
Zeitungen, Spedition, standen ihm nicht zu Gebote. Wollte er gewinn-
bringenden Handel betreiben, mußte er selbst in die Fremde wandern