Full text: Lehrbuch der deutschen Geschichte

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so verblenden läßt, daß er es wagt, über solche Gletscherfelder zu 
gehen, welche in der verflossenen Nacht mit einer Schneerinde be¬ 
deckt wurden, so ist er alle Augenblicke nicht sicher, in eine Gletscher¬ 
spalte, die durch den frischgefallenen Schnee unsichtbar gemacht wurde, 
zu treten und hinunterzustürzen, um auf immer da vergraben zu 
bleiben. Überhaupt ist die Tollkühnheit des Jägers ini Klettern 
für ihn das Allergefährlichste: wie leicht kann er ausgleiten; wie 
leicht tritt er ans einen Stein, der ihn nicht hält; wie leicht ver¬ 
steigt er sich so in die Höhe, daß er ans dem Rückwege, oft mit 
einer oder zwei Gemsen beladen, verunglückt! Bricht er durch den 
Fall ein Glied, so ist sein Hilferuf in der Einöde vergeblich, und 
er muß, von Hunger, Durst, Kälte und Schmerz gefoltert, langsam 
sein Leben endigen, oder aber er stiirzt über Abhänge und Felsen - 
wände in die tiefsten Abgründe hinunter, und sein Körper wird 
in Stücke zerschmettert. Die Gemsenjagd wird trotz alledem zu 
einer nnbezwinglichen Leidenschaft. Oft stellen vermögende Baners- 
oder Handwerkslente Knechte zum großen Nachteil ihres Hauswesens 
an, um nur immer nach Herzenslust den Gemsen nachstellen zu 
können, und häufig sind die Beispiele, wo beinahe tödlich im Ge- 
birg verwundete Jäger dennoch, sobald sie genesen, wieder an den 
Felsenwänden herumklettern, von denen sie vor kurzem erst ge¬ 
stürzt waren. Stein Müller (in der Naturgeschichte von Lenz». 
73. 
Der Flachs. 
Wir kennen alle die Flachspflanze; wir wissen, daß. wenn 
wir im April oder Mai ihre kleinen, glänzenden Samen säen, 
schnell ans denselben schlanke, dünne, am Gipfel sich verzweigende 
Stengel emporwachsen, welche dicht mit lanzettförmigen Blättern 
besetzt sind und ganz oben himmelblaue, kurzdauernde Blumen 
tragen, nach deren Abfall sich bald braune Kapseln zeigen, welche 
darauf hindeuten, daß die Pflanze, schon drei bis vier Monate, 
nachdem sie emporgekeimt ist, ausgerissen werden kann, um die Fasern 
zu liefern, welche uns einen wichtigen Bekleidungsstoff geben. 
Diese Fasern sind von demselben Bau wie der Bast in den 
Bäumen (Lindellbast u. s. tu.), wie die Fasern beim Hanf und
	        
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