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strenger Winter. Die Pfade lagen unter tiefem Schnee verborgen. Die Männer
krochen oft auf Händen und Füßen und waren in beständiger Angst, in den gähnenden
Abgrund hinabzurollen. Die Königin und ihre Frauen wurden in Rinderhäute
gewickelt und so von den Führern hinabgezogen. Zum Tode erschöpft kamen die
Reisenden in der lombardischen Ebene an.
6. Heinrich in Kanossa. Gregor war eben auf der Reise nach Deutschland,
wo er die Sache Heinrichs auf einer Reichsversammlung entscheiden wollte. Er
erschrak, als er von des Königs Ankunft hörte. Er fürchtete nämlich, Heinrich käme,
um sich zu rächen. Daher floh er zu seiner Sicherheit in das feste Schloß Kanossa,
das der Gräfin Mathilde von Toskana gehörte. Hierher kam Heinrich als Büßer.
Mathilde empfing ihn vor der Burg, eilte dann zurück zum Papst, um ihn zu be¬
wegen, den Bußfertigen vor sich zu lassen. Im härenen Gewände, barfuß im Schnee
stehend, harrte Heinrich auf den Bescheid. Aber drei Tage lang blieb das innere
Burgtor üer[ci)io[fen, bis ihn der Papst, bestürmt durch die Bitten und Tränen seiner
Umgebung endlich vorließ und ihn vom Bann bestelle, unter der Bedingung, daß
er sich der Herrschaft enthalte, bis auf einem Reichstage entschieden sei, ob er König
bleiben solle oder nicht.
7. Rudolf von Schwaben. Mit flammendem Zorn kehrte Heinrich nach
Deutschland zurück. Hier hatten die Fürsten bereits einen neuen König gewählt,
den ehrgeizigen Schwager Heinrichs, Rudolf von Schwaben. Heinrich zog
das Schwert und besiegte ihn. Rudolf wurde in der Schlacht durch einen Lanzen¬
stich tödlich verwundet.
8. Ende Gregors VII. Der Papst hatte anfangs der Wahl Rudolfs gegen¬
über eine abwartende Stellung eingenommen. Später aber war er entschieden
für Rudolf eingetreten und hatte Heinrich abermals in den Bann getan. Da er¬
schien Heinrich mit einem mächtigen Heere vor Rom. Er eroberte nach langer Be¬
lagerung die Stadt, erklärte den Papst für abgesetzt und ließ einen neuen Papst
wählen, der ihn zum Kaiser krönte. Drei Jahre wurde Gregor in der Engelsburg
zu Rom belagert. Endlich gelang es einem tapferen italienischen Ritter, ihn zu
befreien und nach Salerno in Sicherheit zu bringen. Hier starb Gregor mit den
Worten: „Ich habe die Gerechtigkeit geliebt und das Böse gehaßt, darum sterbe ich
in der Verbannung."
9. Heinrichs Ende. Nach so viel Unruhe gewann Heinrich IV. in Deutsch¬
land die königliche Macht wieder und bemühte sich um die Durchführung des
Gottes- und Landfriedens. Unter dem Schutze des Friedens wurde der Ackerbau
gehoben, die Städte blühte:: und die unteren Stände bekamen größere Selbstän¬
digkeit. Aber die Masse der kleinen Lehensleute hatte im Frieden keine Beschäftigung
und wurde unzufrieden. Diese Unzufriedenen sammelten sich um des Kaisers Sohn
Heinrich V. und reizten ihn zum Aufstande gegen den Vater. Schon standen sich
die Heere bei Koblenz gegenüber, als der Sohn, dem der Ausgang des Kampfes
zweifelhaft erschien, Unterwerfung heuchelte. Er versprach, den Frieden mit dem
Papste vermitteln zu wollen, und bot dem Vater die Burg Böckelheim im Nahe¬
tale zum Aufenthalte an. Heinrich IV. ließ sich täuschen und kam vertrauensvoll
in das Feldlager des ungetreuen Sohnes. Zu spät merkte er, daß er gefangen war.
In Ingelheim wurde er zur Abdankung gezwungen. Dem Kaiser gelang es, aus
der Gefangenschaft zu entfliehen und bei vielen treuen Reichsstädten Hilfe zu finden.