Der Jnvestiturstreit 1076—1122. 101
Einflüsse der weltlichen Gewalt zu entziehen. Die Bischöfe wurden da- Investitur,
mals in den abendländischen Reichen von den Herrschern ernannt, indem
der König oder Kaiser dem Einzusetzenden die bischöflichen Symbole, Ring
und Stab, überreichte. Diese Form der Ernennung nannte man In-
vestitnr, d. i. Einkleidung. Gregor VII. verbot nun den weltlichen
Gewalten die Investitur. Aber die Reichsgewalt konnte die Anordnung
einer neuen Form der Papstwahl geschehen lassen, zumal die Rechte
des Kaisers dabei in allerdings wenig bestimmten Worten erwähnt waren *);
sie konnte auch der strikten Durchführung des Cölibats teilnahmslos
gegenüberstehen — das Verbot der Investitur jedoch griff unmittelbar
in das Gefüge des mittelalterlichen Feudalstaates. Denn der damalige
Bischof war nicht bloß, wie der heutige, der Verwalter eines geistlichen
Amtes, sondern seit der Ottonenzeit zugleich Reichsfürst geworden. Der
Kaiser hätte demnach, wenn er ohne weiteres auf das Recht der Investitur
Verzicht geleistet hätte, das Besetzungsrecht von sehr vielen und wichtigen
Fürstentümern des Reiches ans der Hand gegeben. Zudem hatten alle
seine Vorgänger von Karl d. Gr. an die Investitur ausgeübt. Heinrich IV.
fuhr daher trotz des päpstlichen Verbotes der Investitur fort, die Bis-
tümer seines Reiches nach wie vor zu vergeben. Hierüber zerriß zum Kampf zwischen
erstenmal der Friede zwischen den zwei leitenden Gewalten, die das Kaisertum und
Mittelalter anerkannte, dem Kaisertum und Papsttum. In diesen ersten um'
großen Kampf, der zwischen, den beiden „Leuchten der christlichen Welt"
entbrannte, trat das Papsttum unter ungleich günstigeren Verhältnissen
ein. Denn abgesehen davon, daß es neue Ideen vertrat (die übrigens
nur die Konsequenzen aus der eluuiacensischen Kirchenreformation waren)
und neue Ideen immer die Herzen mit jugendlicher Anziehungskraft er-
greifen, war es von einem erfahrungsreichen, in seinem Privatleben uu-
tadelhaften, zielbewußten, kühnen und mit rücksichtsloser^) Energie aus-
gestatteten Manne vertreten. Das Kaisertum dagegen war in den Händen
des erst fünfundzwanzig Jahre alten, jugendlich ungestümen, ja uube-
sonnenen Heinrich, der zwar reich begabt und hochstrebend von Natur, aber
noch wenig erfahren und infolge jener sich widerstreitenden Erziehungs¬
weisen Annos und Adalberts ebenso leidenschaftlich und willkürlich als
launisch und haltlos geworden war und in dem leichtfertigen Wandel,
dem er sich in jugendlichem Übermute ergab, dem Papste die beste Hand-
habe zum Angriff bot.
Der Jnvestiturstreit 1076—1122.
Zum Ausbruch des welterschütternden Kampfes zwischen Kaisertum
und Papsttum kam es auf folgende Weise. Gregor VII. hatte (1075) Päpstliche
fünf Räte Heinrichs wegen Simonie exkommuniziert und von diesem ver-
langt, er solle sich von ihnen trennen; Heinrich hatte sie in seiner Um- m 10yßar
gebung behalten. Da erschien am 1. Januar 1076 eine Gesandtschaft
') »Vorbehaltlich der schuldigen Ehrerbietung gegen Heinrich, welcher jetzt König
ist und künftig Kaiser sein wird, und überhaupt alle die Nachfolger, welche von diesem
apostolischen Sitze sich dieses Recht persönlich erwirken werden."
2) Gregor VII. liebte das Wort (aus dem Propheten Jeremias 48,10) anzu¬
wenden: „Verflucht sei, wer sein Schwert aufhält, daß es nicht Blut vergieße."