§ 70. Die Religionsordnung.
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(ober Genossenschaften) verbunden; als die angesehensten galten die Pontifiees
die Fetialen, die Auguren und die Vestalinnen.
1. Die Pontifiees, deren Oberhaupt der Pontifex Maximus war, übten
die höchste priesterliche Gewalt und die Aufsicht über den gesamten Götter-
dienst; sie führten die Staatsannalen und das Kalenderwesen.
2. Die Fetialen hatten den Krieg anzusagen, die Friedens- und Bündnis-
Verträge abzuschließen und über deren Einhaltung zu wachen.
3. Die Auguren beobachteten den Vogelflug und die anderen Himmels-
zeichen; in ähnlicher Weise weissagten die Haruspices aus der Lage,
der Beschaffenheit und den Zuckungen der Eingeweide geschlachteter Opfer-
tiere, eine aus Etrurien stammende Kunst, die mit der Zeit in Verruf kam.
4. Die Vestalinnen wohnten bei strenger Abgeschiedenheit in einem Anbau
des Vestatempels (des „Herdes des Staates"), um in diesem das ewige
Feuer zu unterhalten.
§ 71.
Bit Götter der Römer.
1. Griechisch-römische Gottheiten. Die religiösen Vorstellungen der
Römer hatten von vorneherein vielfache Ähnlichkeit mit den Anschauungen
der Griechen, wie es in der nahen Verwandtschaft der beiden Völker be-
gründet war. Um so mehr tritt die Gleichartigkeit bei der beträchtlichen
Zahl jener heimischen Götter hervor, die ihre endgültige Ausgestaltung erst
unter dem Einflüsse der griechischen Nachbarschaft gewonnen haben:
a) Jupiter (d. i. Vater Zeus) galt, ähnlich wie der griechische Zeus, als die
allumfassende Gottheit des physischen Himmels; er wurde als „Optimus
Maximus" (d. i. der größte und beste Schirmherr des Staates) verehrt.
b) Auch Mars, der rauhe Gott der männlichen Arbeit und des Krieges, und
Juno, in deren Schutz das gesamte weibliche Leben und Wirken stand, ferner
Minerva, die Göttin der Gewerbe, der Künste und der Wissenschaften, und Vesta,
die Göttin des häuslichen Herdes, waren fast nur durch den lateinischen Namen
von den entsprechenden griechischen Göttern verschieden.
c) Seitdem die Römer durch ihre Eroberungen in dauernde Beziehungen zu
den Griechen traten, kamen sie dazu, durch allmähliche Umdeutung den ganzen
griechischen Hlymp nach Rom zu verpflanzen (vgl. daher § 25 ff., S. 33).
2. Eigenartige römische Gottheiten. Neben den griechisch-römischen
Gottheiten gab es fürderhin nur mehr wenige solcher Götterwesen, die ihre
italische Sonderart im ganzen oder teilweise dauernd beibehalten haben:
1. Saturnus galt als der Begründer des Ackerbaues und der Kultur; ihm zu
Ehren wurde zur Zeit der Wintersonnenwende das siebentägige Fest der
Saturnalien gefeiert.
2. Kanus, der Gott des Anfanges und des Endes, des Einganges und des
Ausganges, wurde zweigesichtig dargestellt, vorne jung, rückwärts alt; der
JanuStempel auf dem Forum war eine Durchgangspforte, die bei Be-