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Staare, die Wachteln, die wilden Tauben. Ehe sie fortziehen, ver¬
sammeln sie sich in großen Scharen, die Störche auf einer Wiese,
die Schwalben in einem Dorfe, die Staare im Schilf eines Wei¬
hers. Ist endlich ihre Zeit gekommen, so treten sie bei günstigem
Winde die Reise an, lassen den traurigen Winter hinter sich und
suchen einen ewigen Frühling auf. Selbst die zahmen Störche wollen
dann nicht bleiben, auch wenn sie Futter genug haben. Unruhig
laufen sie hin und her und schreien ihren fortziehenden Kameraden
den Abschiedsgruß nach. Viele Leute sperren die Wachteln in einen
Käfich. Wenn nun die Wachteln im Oktober ihre Reise antreten,
da will auch die gefangene Wachtel mitziehen. Seh ihr das beste
Getreide und den besten Salat vor: sie verschmäht deine Leckerbissen
und verlangt mit ihren Kameraden zu ziehen. Ihr Verlangen ist so
groß, daß sie die ganze Nacht hindurch in ihrem Gefängniß hin und
her läuft; ja sie fliegt dann mit solcher Gewalt gegen die Decke ihres
Käfichs, daß sie oft besinnungslos niederfällt. Bricht der Tag an, so
wird sie wieder ruhig; aber sie ist dann traurig, müde und schläfrig.
Diese Unruhe dauert dreißig Tage fort. „O, die arme Wachtel!"
hör ich dich ausrufen, „warum läßt man sie nicht mit ihren Ka¬
meraden fortziehen?" Ja, liebes Kind, wenn ich eine Wachtel hätte,
und ich sähe ihr Verlangen und ihre Unruhe, so müßte ich sie ziehen
lassen.
Aber wohin ziehen die Vögel? und wer zeigt ihnen den Weg? —
Wenn ich dich auf eine Wiese hinstellen und zu dir sagen würde:
„Mach eine Reise nach Afrika!" — so würdest du mir antworten:
„Ich weiß keinen Weg!" Wenn ich aber mit dir reisen wollte, so
müßten wir viele hundert Stunden weit gehen, bis wir ans Meer
kämen, und dann wären wir noch nicht in Afrika. Wir müßten
ein Schiff besteigen und noch weit übers Meer fahren. Wie wun¬
derbar! Die Störche, die Schwalben, die Wachteln, die Nachtigallen
machen im Herbste diese weite Reise nach Afrika, und niemand zeigt
ihnen den Weg. Sie müssen über Wälder, Berge, Flüsse und Seen,
ja zuletzt übers Meer ziehen; und doch verfehlen sie ihren Weg
nicht und kommen alle wohlbehalten in Afrika an, wenn sie auf der
Reise kein Unglück trifft. Die lange Reise beendigt die schnelle
Schwalbe schon in vier bis fünf Wocben. Dabei ruht sie des Nachts
im Schilfrohr der Sümpfe und Teiche, und wenn sie übers Meer
fliegt, setzt sie sich auf die Mastbäume und Segelstangen der Schiffe.
Schlimmer, als den Schwalben, geht es den Wachteln, welche zwar
recht hurtig laufen, aber nicht gut fliegen können. Sie ruhen oft aus,
und wenn sie ans Meer kommen, so fliegen sie von Insel zu Insel,
und zwar immer auf demselben Weae. Wenn sie auf den Inseln an¬
kommen, so sind sie vom langen Fluge so müde, daß man sie mit den
Händen fangen kann. Tausende tödtet man und salzt sie ein ; ganze
Flüge fallen ermüdet auf die Schiffe; andere Schwärme wirft der
Sturm ins Meer, daß sie ertrinken müssen. Und doch will keine einzige
Wachtel bei uns bleiben; alle wollen sie nach Afrika ziehen und dort
den Winter zubringen. Wenn aber bei uns der Frühling angeht, dann