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Nordländer gewonnen und selbst in Frankreich den Groll über die Niederlage zurück-
gedrängt. ZuRußland wurden freilich Deutschlands Beziehungen so kühl, daß sich
ZarAlexanderlll. für einen Anschluß an Frankreich entschied. 1891 erschien eine
französische Flotte vorKronstadt; Alexander empfing den französischen Admiral in
Petersburgund erwiderte dann den Besuch, wobei er an Bord des Admiralsschiffes
die Marseillaise, die französische Nationalhymne, stehend anhörte. So hat sich ein
Zweibund gebildet, der dem Dreibunde gegenübersteht. Erst unterNikolaus II.
wurden die Beziehungen Rußlands zu Deutschland wieder etwas herzlicher. Eng-
land gegenüber hat freilich des Kaisers Friedenspolitik bis jetzt noch keinen bedeu-
tenden Erfolg errungen, was um so bedauerlicher ist, als Engländer und Deutsche
stammverwandte Völker sind. Seit Jahren betrachten die Staatsmänner jenseits
des Kanals das Wachsen unserer Flotte mit Mißtrauen und gönnen uns nicht die
Stellung, die wir nach langer Arbeit nun endlich unter den Weltvölkern errungen
haben. Um so freundschaftlicher ist das Verhältnis, das Deutschland mit den V e r-
einigten Staaten von Nordamerika verknüpft; es zeigte sich, als Prinz Heinrich
im Jahre 1902 die großen Städte der Union besuchte.
4. Seine Sorge für den Landesschutz.
Dem Landesschntze ließ Kaiser Wilhelm die größte Sorgfalt angedeihen. Er
war bestrebt, das deutscheHeer zum besten auf der ganzen Welt zu machen. Des-
halb wurden alle Neuerungen nach gewissenhafter Prüfung eingeführt; die Schuß-
Waffe wurde verbessert, die ganze Reiterei mit Lanzen versehen und die Luft-
schiffahrt in den Dienst des Heeres gestellt. Vor allem aber galt es, die Heeres-
stärke der zunehmenden Bevölkerung anzupassen, weil sonst abermals viele waffen¬
fähige Männer von dem Dienste bei der Fahne ferngehalten wurden. Eine Ver-
mehrung der Regimenter war nicht angetan, weil sie eine große Belastung der
Militärausgaben im Gefolge gehabt hätte. Deshalb entschloß sich der Bundesrat,
die dreijährige Dienstzeit, an der Kaiser Wilhelm I. und Moltke so fest gehalten
hatten, aufzugeben und bei der Infanterie die zweijährige Dienstzeit einzu-
führen. Dadurch wurde ein rascherer Ab-und Zugang innerhalb des bestehenden
Rahmens des Heeres ermöglicht; ohne erheblich größere Kosten stieg die Zahl der Aus-
gebildeten um 50 %• Das deutsche Volk begrüßte die Neuerung mit Freuden; denn
sie bot den einzelnen Untertanen in persönlicher und finanzieller Hinsicht nur
Vorteile. Freilich bedingte sie auch eine Verschärfung der Dienstvorschriften, da
jetzt in zwei Jahren geleistet werden mußte, wozu früher drei Jahre zur Ver-
fügung gestanden hatten. — Besonders aber lag dem Kaiser die Stärkung der
Seemacht am Herzen. Schon früh hatte er erkannt, daß es für Deutschland eine
Notwendigkeit sei, zum Schutze seiner Küste, seines Handels und seiner Kolonien
eine bedeutende Flotte zu besitzen. Deshalb ließ er keine Gelegenheit
vorübergehen, sein Volk von der Notwendigkeit der Manne zu überzeugen. Offen
sprach er aus, daß Deutschlands Zukunft auf dem Wasser läge, und daß ihm eine große
Flotte bitter nottue. Er war fest entschlossen, für den Ausbau der Marine dasselbe
zu leisten, was einst sein Großvater für das Landheer getan hatte. Anfangs freilich
stieß er bei seinem Volke auf Widerstand. Allein er ließ sich nicht abschrecken und