fullscreen: Altdeutsches Lesebuch

- Das Gudrunlied. 
117 
Nach 13 Jahren rüstet Hilde endlich ein Heer mit Herwigs und 
Siegfrieds Beihilfe und sendet es nach der Normandie. Als man gelandet ist, 
ziehen Ortwin und Herwig auf Kundschaft aus und finden an einem rauhen 
Morgen, als frischer Schnee gefallen, die beiden Jungfrauen in dünnen Ge¬ 
wändern barfuß am Ufer. Ein Schwan hatte den Mädchen baldige Rettung 
geweisfagt. So harten sie nun der Erfüllung. 
Da8 Wiedersehn. 
1207 Dô si gewarten lange, dô sâhens üf dem sê 50G 
zwêne in einer barken und ander nieman me. 
dô sprach vrou Hildeburc ze Kûdrûn der riehen: 
‘dort sihe ich vliezen zwêne, die mügen dinen boten wol geliehen.’ 
1208 Dô sprach diu jâmers riche: ‘owê ich armiu meit! 507 
mir ist innercliche liep unde leit. 
sint ez die boten Hilden, suln mich die sus hie vinden 
waschen üf dem grieze, daz lasier künde ich nimmer überwinden. 
1209 Ich vil gotes armiu, ja enweiz ich, waz ich tuo. 508 
trütgespil Hildeburc, rat mir dar zuo: 
soi ich von hinnen wichen oder läzen mich hie vinden 
in disen grözen schänden? ê weite ich immer heizen ingesinde.’ 
1210 Dô sprach vrou Hildeburc: ‘ir sehet wol, wie ez stat. 509 
ir suit an mich niht läzen also hohen rat. 
ich leiste mit iu gerne allez, daz ir tuet. 
ich wil bi iu beliben und liden übel unde guet.’ 
1211 Dô kêrten si sich umbe und giengen beide dan. 510 
dô waren euch sô nahen dise zwêne man, 
daz si die schcenen weschen bi dem stade sähen. 
si wurden des wol innen, daz si weiten von den kleidern gähen. 
1212 Si Sprüngen itz der barken und mosten in hin nach: 511 
‘ir vil schcenen weschen, war ist iu sô gâch? 
wir sin vremede liute, daz muget ir an uns kiesen. 
scheidet ir von hinnen, sô müget ir die vil riche sabene vliesen.’ 
1213 Si täten dem gelîche, sam sis niht heten verneinen. 512 
doch was in diu stimme wol zuo den ören körnen. 
Herwic der herre sprach ein teil ze lute. 
er wiste niht der mære, daz er so nahen stüende sinem trüte. 
1214 Dô sprach der voget von Sêwen: ‘ir minnicliche kint, 513 
ir suit uns läzen lioeren, wes disiu kleider sint. 
wir biten iucli valsches âne, allen meiden tuet ez ze êren. 
ir minniclichen vrouwen, jâ suit ir wider zuo dem stade keren.’ 
1216 Sie giengen in ir hemeden, diu wären beidiu naz. 514 
den vil edelen vrouwen was ê gewesen baz. 
1207, 1 gewart(et)en, ausgeschaut hatten. — sâhens = sahen si. — 2 ander, 
sonst. — 1208, 4 lasier, Schmach. — 1209, 4 ê weite ich etc., lieber möchte 
ich immer in der Knechtschaft bleiben, als mich Vor Edlen so sehen lassen. 
Die Königstochter fühlt das Unschickliche ihrer Lage (daz leit 1208, 2) stärker 
als die Freude der nahen Befreiung. — 1210, 2 an mich läzen, mir über¬ 
lassen. — 1211, 4 gähen von, die Kleider im Stich lassen. — 1213, 1 sie taten, als 
hätten sie es nicht gehört, weil Herwig, der sie ja nicht kannte (4), allzu barsch (3 
ein teil ze lute) redete. — 1214, 1 Sêwen = Sêlant, Beiname Herw gs. — 1216, 1 diu
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.