6. Konstantin. Sieq des Christentums über das Heidentum.
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Heidentums und au die Bekämpfung des Evangeliilms giug. _ Er
gebot, die Tempel wieder zu öffnen, die umgestürzten Altäre wieder
aufzurichten. Um die Zerrissenheit der Kirche zu befördern, begünstigte
er alle Ketzer uud Sekten. Gleichzeitig entzog er dem Klerus die
Ehren und Einkünfte, die seine Vorgänger diesem verliehen, nötigte
die Gemeinden und Bischöfe zur Herausgabe der ihnen überwiesenen
Tempelgüter, verdrängte die Christen aus allen Hof- und Staats-
Ämtern und untersagte ihnen, um sie geistig herabzudrücken, den Unter-
rieht in den Wissenschaften. Dagegen suchte er anf jede Weise dem
eilten Götterdienste neuen Glanz zu verleihen und dureh Besserung des
Priesterstandes dem Heidentum jene sittliche Lebenskraft einzuflößen,
die, wie auch er auerkenueu mußte, der christlichen Religion iuue-
wohnte. Noch jetzt ist das Sendschreiben vorhanden, in welchem er
die heidnischen Priester ermahnt, sich eines tugendhaften Wandels zu
befleißigen, Wohltätigkeit und Menschenliebe zu üben und emsig die
erhabenen Lehren der großen Weltweisen zu studieren. Diese Maß-
regeln wirkten nachdrücklicher als die blutigen Verfolgungen der
früheren Jahrhunderte, und gewiß würde der Abfall noch viel be-
deutender gewesen sein, als er es ohnehin war, wenn Julian länger
gelebt hätte. Doch er fand schon nach zweijähriger Regierung anf
einem Feldznge gegen die Perser seinen Tod. Als er sterbend
vom Pferde sank, soll er gerufen haben: „Du hast gesiegt, Galiläer!"
Nach Julian kam kein Heide wieder auf den römischen Thron,
und so überwand das Christentum noch im Lause des 4. Jahr¬
hunderts im ganzen Reiche das Heidentum bis auf wenige Reste.
Auch in den Ländern, deren Bevölkerung den Römern fern stand
oder feindlich war, schlug es Wurzel. Bei den Westgoten fand
das Evangelium hauptsächlich durch die Bemühungen des arianischen
Bischoss Wulfila Eingang. Dieser übersetzte säst die ganze Heilige 3
Schrift in die gotische Sprache, nachdem er zuvor das gotische
Alphabet aus dem Griechischen mit Benutzung der Runen erfunden
und festgestellt hatte. Ebenso wurden die Ostgoten, die Vandalen,
die Burgunder und die Langobarden bis zum Beginn der Völker-
Wanderung für das Christentum, und zwar gleichfalls in der aria-
uischen Form, gewonnen, während es zu den Frauken, Ala-
mctnnnen und Angelsachsen erst hundert Jahre später in katho-
lischer Fassung kam.
Unter den Kirchenlehrern des 4. und 5. Jahrhunderts verdienen
besonders genannt zu werden Hieronymus, der Urheber der noch
heute unter dem Namen Vulgata in der römischen Kirche gültigen
lateinischen Bibel, der große Kanzelredner Johannes Chrysosto-
mus lGoldmund), der glanbens- und sittenstrenge Ambrosius uud
der fromme und gelehrte Augustinus. Ambrosius entstammte