6. Die Kaiserin Viktoria. Die Kaiserin Viktoria, am 21. Nov.
1840 geboren, war die treue Gefährtin seines Lebens in Freud und Leid.
In der Sorge für den Wohlstand des Volkes, für die Armen und Bedrängten
stand sie ihrem Gemahl mit großer Aufopferung unermüdlich zur Seite. Herr*
lich bewährte sich ihre Liebe in den Tagen der Krankheit Kaiser Friedrichs.
Bereitwillig folgte sie ihm überall, wohin die Ärzte ihn schickten. Mit größter
Sorgfalt war sie bedacht, dem hohen Kranken sein hartes Los zu erleichtern,
und ihr liebendes Auge las ihm jeden Wunsch von den Lippen. Sie wich
nicht von ihm, bis er den letzten Atemzug getan hatte. Als Witwe lebte
Kaiserin Friedrich auf ihrem Schlöffe Friedrichshof bei Cronberg und
fand Trost in der Liebe und dem Glücke ihrer Kinder und im Wohltun. Ihrer
besonderen Fürsorge erfreute sich der segensreich wirkende „Verein für Kinder-
Heilstätten an den deutschen Seeküsten". Im Jahre 1901 ist sie nach schwerem
Leiden ihrem hohen Gemahl in die Ewigkeit gefolgt und an seiner Seite
bestattet worden.
XXII. Kaiser Wilhelm II., seit dem 15. Juni 1888.
1. Jugendzeit. In voller Jugendkraft, im Alter von 29
Jahren, bestieg Wilhelm II. den Thron seiner Väter. Er wurde am
2 7. Januar 185 9 als ältester Sohn des späteru Kaisers Friedrich III.
zu Berlin geboren. Seine Geburt war für unser Herrscherhaus eine
große Freude und wurde im ganzen Lande mit Jubel begrüßt. Bei der
Taufe erhielt er die Namen Friedrich Wilhelm Viktor Albert. Die
Kindheit des Prinzen Wilhelm verfloß ruhig. Seine Eltern waren
sich wohl der Verantwortung bewußt, die sie in der Erziehung des
künftigen Thronerben übernommen hatten. „Möge der Prinz ein
tüchtiger, rechtschaffener, treuer und wahrer Mensch werden", sagte
sein Vater einst. In diesem Sinne wurde er streng und gewisfenhaft
von seinen Eltern erzogen. Auf seine körperliche Ausbildung
verwandten sie die größte Sorgfalt. Exerzieren, Reiten, Turnen und
Schwimmen mußte er fleißig betreiben. Tüchtige Lehrer leiteten seine
erste geistige Ausbildung. Am 1. September 1874 wurde Prinz
Wilhelm konfirmiert. Sein selbstverfaßtes Glaubensbekenntnis
schließt mit den Worten: „Ich weiß, daß schwere Aufgaben im Leben
meiner warten; aber sie sollen meinen Mut nicht einschüchtern, sondern
stählen!" Im Herbste dieses Jahres brachten seine Eltern ihn mit
seinem Bruder Heinrich auf das Gymnasium zu Kassel. Die
Prinzen sollten schon früh das Volk kennen lernen, mit Bürgerföhneu
verkehren und in allem Edlen mit ihnen wetteifern. Hier studierte Prinz
Wilhelm drei Jahre mit großem Fleiße und war bald der Liebling seiner
Lehrer und seiner Mitschüler. 1877 bestand er die Reifeprüfung
in ehrenvoller Weise und erhielt sogar eine von den drei Denkmünzen,
welche alljährlich an die drei fleißigsten und würdigsten Schüler zur
Verteilung gelangten. Nun wurde er, nachdem er schon mit dem 10.
Lebensjahre zum Offizier ernannt worden war, der Garde eingereiht.
Täglich versah er seinen Dienst wie jeder andere Leutnant. In dem-