Full text: Geschichte des Mittelalters (Bd. 2)

Staatliche Ordnung. 9 
geschlossen. Sie gewährten ihren Angehörigen vor allem Schutz; 
gegebenenfalls erhärteten sie die Unschuld eines Sippenmitgliedes 
durch Eid („Eideshelfer", siehe unten), Verletzung und Tötung 
aber suchten sie durch Wiedervergeltung („Blutrache") zu sühnen. 
Die Sippen wohnten in Dörfern zusammen; denn sie waren 
auch Arbeitsgemeinschaften, Weide und Wald nutzten sie 
überhaupt gemeinsam. 
An Stelle der Blutrache zwischen den einzelnen Sippen trat Hundertschaft 
jedoch allmählich eine friedlichere Lösung vorliegender Streitig- — Gau. 
feiten: durch Entrichtung einer bestimmten Wertsumme konnten 
selbst Verletzung und Tötung abgebüßt werden. Es waren also 
sühnbare Vergehen. Dieses„Wergeld" (vonWer — Mann) wurde 
in Haustieren „gezahlt". Damit aber die einzelnen Sippen auch 
ihre Mitglieder wirklich zur Leistung des verabredeten und feft- 
gesetzten Betrages anhielten, war ein größerer Verband nötig, der 
auf die Sippen nötigenfalls einen Druck ausüben konnte: eine 
möglichft große Zahl von Sippen mußte sich zu diesem 
Zweck zusammenschließen. Die Germanen der ältesten Zeit kannten 
indes keine größere Zahl als 100. So bekamen diese Sippen- 
verbände den Namen Hundertschaften; mehrere zusammen 
wohnten je in einem Gau, wie die älteste Bezeichnung für die 
kleinsten geographischen Einheiten unseres Vaterlandes lautet. Der 
Zweck der Hundertschaft war demnach die Aufrechterhaltung oder 
Wiederherstellung des Friedens zwischen den einzelnen Sippen. 
Zu diesem Zweck vereinigten sich die freien Männer (siehe unten) 
der einzelnen Hundertschaften unter freiem Himmel zu Gerichts- 
Versammlungen (Gauding genannt; Ding = Gerichtsversamm- Gaudina. 
hing; Dingstätte = Gerichtsplatz). Der Besuch dieser Versamm- 
Jungen war Vorrecht und Pflicht des Freien zugleich. 
Zur Verteidigung gegen feindliche Heere, zu eigenen kriege- Völkerschaft 
rifcheit ^ Unternehmungen (z. B. Eroberung neuer Wohnsitze) war — Staat, 
aber die Hundertschaft natürlich zu schwach: die Völkerschaft 
allein (siehe oben Seite 5) war dazu imstande. Die freien Männer 
der ganzen Völkerschaft bildeten das Heer. Jedes Freien Vorrecht 
und Pflicht war der Waffendienst: schon bei den Germanen der 
ältestenZeit finden wir also die allgemeine Wehrpflicht. 
Die Völkerschaftsversammlung („L and es d in g") hatte demge- Landesding 
mäß wichtige Ausgaben: 
a) sie bedeutete eine Art Heerschau („Kontrollversammlung"); 
b) sie entschied über Krieg oder Frieden, Bündnisse u. dgl.; 
c) sie urteilte über Verbrechen wie Feigheit, Verrat, Über- 
läuferei u. dgl. 
Wer sich solcher uusühubarer Verbrechen schuldig gemacht hatte, 
war unwürdig ein Glied der Völkerschaft zu bleiben; darum gab
	        
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