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Geschichte der Griechen.
In Athen wurde er freundlich aufgenommen und von Ägeus zum Mahle
geladeu. Unerkannt fetzte er sich zu Tische, zog sein Schwert und tat, als ob er das
vorgelegte Fleisch damit zerschneiden wolle. Kaum hatte Ägeus die Waffe erblickt,
so stürzte er auf den Jüngling zu und schloß ihn als seinen Sohn in seine Arme'.^
3. Theseus erlegt den Minotaur. Auf der Insel Kreta herrschte König
Min os. Sein Sohn war ihm auf der Reise durch Attila erschlagen worden.
In einem Rachekriege hatte Minos die Athener gezwungen, zur Sühne des
Verbrechens alle neun Jahre sieben Jünglinge und ebenso viele Jungfrauen als
Tribut nach Kreta zu schicken. Dort wurden sie im Labyrinth eingeschlossen,
einem großen Gebäude, das aus lauter Jrrgängen bestand, in denen sich niemand
zurechtfinden konnte. Ein Ungeheuer, halb Stier, halb Mensch, das man
Minotaurus nannte, hauste darin, und wenn es einem der armen Gefangenen
begegnete, so tötete es ihn. Bisher war noch keiner aus dem Labyrinth wieder
heimgekehrt. — Die Opfer wurden jedesmal durch das Los bestimmt und fuhren
dann aus einem Schiff mit schwarzen Segeln von dannen. Diesmal erbot sich
Theseus, -freiwillig mitzugehen, in der sicheren Hoffnung, daß er den Minotaur
werde bezwingen können. Mit schwarzen Segeln stach das Schiff in See; doch
hatte der Steuermann von Ägeus ein weißes Segel erhalten, das sollte er
ausspannen, wenn sein Sohn nnd die andern alle lebend heimkehrten.
Nach glücklicher Überfahrt führte Theseus seine kleine Schar an den
Hos des Minos. Hier sah ihn Ariadne, die Tochter des Königs, und ent-
brannte in inniger Liebe zu dem schönen Heldenjüngling. Heimlich gab sie
ihm ein Knäuel Garn und riet ihm, das Ende des Fadens am Eingange des
Labyrinths festzuknüpfen und das Garn im Weiterschreiten ablaufen zu lassen,
dann könne er den Weg sicher zurückfinden. Daraus reichte sie ihm ein Schwert,
das unfehlbar den Sieg verlieh. So ausgerüstet, betrat Theseus guten Mutes
mit fernen Gefährten das Labyrinth. Er knüpfte den Faden fest, und dauu
drangen sie tiefer in die Jrrgänge ein. Wütend kam ihnen das Ungeheuer
entgegen, aber mit der Zauberwaffe schlug der Held ihm die Todeswunde.
Mit Hilse des Fadens fanden sie bald den Eingang wieder und eilten zu ihrem
öchiff. Auch Ariadne, die den geliebten Mann nicht verlieren wollte, schloß sich
ihnen an. Ein günstiger Wind schwellte die Segel und trieb sie nordwärts. Aus der
Insel Naxos landeten sie, um sich einige Ruhe zu gönnen. In der Nacht erschien
der Gott Diouysus dem Theseus uud befahl ihm, die Jungfrau auf der Insel
zurückzulassen, da er selber sie zur Gemahlin erkoren habe. Betrübten Herzens
gehorchte Theseus und bestieg mit feinen Gefährten das Schiff, während Ariadne
noch im tiefen Schlafe lag. Sie mußte dann dem Gotte als Gemahlin folgen.
Unterdessen flog das Schiff der griechischen Küste entgegen; aber vor lauter
Traurigkeit dachte weder Theseus noch der Steuermann daran, weiße Segel zu setzen.
Ägeus hatte schon tagelang sehnsüchtig ausgeschaut. Als das Schiff so nahe gekommen
war, daß er die Abzeichen der Trauer erkennen konnte, glaubte er, sein geliebter
Sohn sei umgekommen. Verzweiflungsvoll stürzte er sich vom Uferrande ins
Meer hinab und ward sofort von den Wogen verschlungen („Ägäisches" Meer).
Froh stieg der Held mit den geretteten Gefährten ans Land; aber wie
erschrak er, als er die Botschaft von dem Tode feines Vaters vernahm! Von
Schmerz überwältigt, sank er zu Boden: war er doch selbst nicht unschuldig an dem