Full text: Bilder aus der vaterländischen Geschichte der Neuzeit (Teil 1)

15. Kaiser Wilhelm II. 57 
ist auch ein sehr kräftiger Mann geworden. Sein linker Arm ist freilich 
infolge eines angeborenen Fehlers schwächer geblieben; um fo mehr 
fällt es auf, wie gewandt er sich, ohne die Linke zu gebrauchen, in den 
Sattel schwingt. Auch ist er ein sicherer Schütze, ein guter Schwimmer 
und ein vorzüglicher Ruderer geworden. Wenn er zu Pferde sitzt, 
pflegt er die Zügel in der linken Hand zu führen, um die rechte für den 
Degen frei zu haben. 
2. Kaiser Wilhelm als Schüler. Als Prinz Wilhelm 15 Jahre 
alt war, kam er mit feinem Bruder Heinrich auf das Gymnasium in 
Kassel. Hier wurde er in keiner Weise vor den andern Schülern bevor- 
zugt. Er wohnte in Wilhelmshöhe und kam jeden Morgen zu Pferd 
herein. Pünktlich war er in feiner Klasse. Er wurde in der Schule 
„Prinz Wilhelm" oder einfach „Prinz" genannt, trug die Klassenmütze 
und verkehrte aufs freundlichste mit feinen Mitschülern. In seinem 
Wesen war er bescheiden und anspruchslos. Er arbeitete so fleißig wie 
nur einer. In den Freistunden trieb er viel Leibesübungen, wie 
Fechten, Schwimmen, Ballfpiel und Schlittschuhlaufen. Mittwoch- und 
Sonnabendnachmittags unternahm er meistens mit andern Schülern 
Ausflüge in die schöne Umgebung Kassels. Kein Wetter war ihm da- 
bei zu schlecht. Wie ernst es die Eltern mit der Schule nahmen, davon 
zeugt folgender Vorfall. Kaiser Wilhelm I. feierte am 1. Januar 1877 
fein 70 jähriges Militärdienstjubiläum. Das ganze Land feierte mit, 
vor allem natürlich die kaiferliche Familie. Die Prinzen hatten am 
1. Januar noch Ferien; aber am 2. begann die Schule wieder. Wenn 
sie das ganze Fest mitmachten, so versäumten sie die ersten Schulstunden. 
Das durfte nicht fein, und fo mußten sie das Fest verlassen und schon 
am Abend des Neujahrstages wieder nach Kassel abfahren. Nachdem 
Prinz Wilhelm sein Abgangsexamen ehrenvoll bestanden hatte, ging er 
nach Bonn auf die Universität und wurde ein fleißiger, aber auch 
frischer und fröhlicher Student. 
3. Kaiser Wilhelm als Soldat. Wie alle hohenzollernfche Prinzen 
wurde auch unser Kaiser schon mit dem zehnten Jahre in die Armee- 
liste eingetragen. Als er 18 Jahre alt war, trat er in das 1. Garde¬ 
regiment zu Fuß ein, zuerst als Leutnant, und bald wurde er Haupt- 
mann. Er war den Offizieren ein guter Kamerad und feinen Mann- 
fchaften ein wohlwollender Vorgefetzter. Durch eigenes Beispiel ging 
er allen in Pünktlichkeit und Gewissenhaftigkeit voran. Seinen Mann- 
fchaften zeigte er bei jeder Gelegenheit feine Zuneigung. Nach Be- 
endigung der Schießübungen schenkte er dem besten Schützen eine Uhr. 
Zu Weihnachten deckte er seiner Kompagnie in glänzender Weise den 
Weihnachtstisch; jeder Mann erhielt ein hübsches Geschenk nach seinen 
vorher sorgsam erkundeten Wünschen. Wenn seine Leute auf Urlaub 
gingen uud es sah mit dem Reisegeld knapp aus, so sorgte er für den 
nötigen Zuschuß. 
Von dem festen Willen des Prinzen zeugt folgender Vorfall aus 
der Zeit, da er fchon Oberst war. Mehrere Offiziere feines Regiments 
gehörten einer Spielgefellfchaft an und verloren fehr hohe Summen. 
Da verbot der Prinz feinen Offizieren, diefer Gefellfchaft anzugehören.
	        
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