Full text: [Teil 2 = 4. und 5. Schuljahr, [Schülerband]] (Teil 2 = 4. und 5. Schuljahr, [Schülerband])

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Schreck fast des Todes, als sie den Geist erblickte; doch faßte sie sich 
und erwiderte: „Hab Dank für deine Mühe; aber ich wollte nur den 
Kleinen zum Schweigen bringen. Es ist schon gut so.“ — „Hoho!“ 
lachte Rübezahl, „weißt du nicht, daß niemand mich ungestraft bei 
meinem Spottnamen rufen darf? Du hast mich gerufen, den Jungen 
zu holen; ich bin gekommen, — also her damit!“ Und somit langte 
er nach dem Jungen. Aber wie eine grimmige Wölfin, der man ihr 
Junges rauben will, warf sich ihm das Weib entgegen, packte ihn beim 
Bart und schrie: „Erst mußt du mich erwürgen, du Unhold, ehe du 
Hand an mein Kind legst!“ Rübezahl prallte zurück und brummte: 
„Nun, nun, du dummes Ding, was gebärdest du dich so grimmig? 
Es war ja nur Spaß, — oder willst du keinen verstehen? Sei ruhig; 
ich bin kein Kinderdieb und werd' es auch nimmer werden.“ — „Das 
ist etwas anderes,“ sprach das Weib lächelnd und tief Atem schöpfend; 
„aber unbarmherzig ist es doch, so mit einer Mutter zu spaßen.“ — 
„Na, es wird dir nicht gleich schaden,“ entgegnete Rübezahl; „aber 
höre, der kleine Schelm da gefällt mir. Gib ihn mir, daß ich ihn 
an Kindes Statt annehme, und ich gebe dir so viel blanke Taler, daß 
du Zeit deines Lebens mit allen deinen übrigen Buben genug daran 
haben sollst.“ — „Gelt,“ lachte das Weib, „der Junge gefällt Euch? 
Das glaube ich; wo fände man auch weit und breit so einen herzigen 
Schelm? Schaut nur einmal, wie der kleine Kerl jetzt dasitzt und uns 
anlacht und nun so artig ist; er weiß recht gut, daß wir von ihm 
sprechen. Nein, Herr Berggeist, den Jungen bekommt Ihr nicht, und 
wenn Ihr mir Euer ganzes Reich schenktet.“ 
Rübezahl hatte seine Freude an der guten Mutter; aber sich 
verstellend, sprach er: „Bist du nicht eine Törin? Du solltest Gott 
danken, daß ich dich aus aller Not reißen, dir die Sorge wegen des 
kleinen Schlingels da abnehmen und einen tüchtigen Mann aus ihm 
machen will. Statt dessen lehnst du meinen Vorschlag ab und be— 
harrst auf deinem Kopf, dich noch länger mit dem Jungen zu plagen. 
Machen dir die andern nicht schon Sorge und Not genug, sie nur 
satt zu machen?“ — „Wohl wahr,“ versetzte das Weib, „aber eine 
Mutter sorgt lieber für ihre Kinder, als daß sie sich ohne sie freuen 
könnte. O Herr, Ihr wißt nicht, was eine Mutter empfindet, wenn 
ihre Kinder sie froh umspringen; da wird alle Arbeit dreimal so 
leicht. Arm sind wir, sehr arm! das ist wahr; aber gottlob! 
auch gesund. Ich bin fleißig, mein Mann auch, und er rührt 
die Hände wacker.“ — ‚Was ist dein Mann?“ fragte Rübezahl. 
„Im Winter,“ berichtete die Frau, „arbeitet er zu Hause; im Sommer
	        
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