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Schreck fast des Todes, als sie den Geist erblickte; doch faßte sie sich
und erwiderte: „Hab Dank für deine Mühe; aber ich wollte nur den
Kleinen zum Schweigen bringen. Es ist schon gut so.“ — „Hoho!“
lachte Rübezahl, „weißt du nicht, daß niemand mich ungestraft bei
meinem Spottnamen rufen darf? Du hast mich gerufen, den Jungen
zu holen; ich bin gekommen, — also her damit!“ Und somit langte
er nach dem Jungen. Aber wie eine grimmige Wölfin, der man ihr
Junges rauben will, warf sich ihm das Weib entgegen, packte ihn beim
Bart und schrie: „Erst mußt du mich erwürgen, du Unhold, ehe du
Hand an mein Kind legst!“ Rübezahl prallte zurück und brummte:
„Nun, nun, du dummes Ding, was gebärdest du dich so grimmig?
Es war ja nur Spaß, — oder willst du keinen verstehen? Sei ruhig;
ich bin kein Kinderdieb und werd' es auch nimmer werden.“ — „Das
ist etwas anderes,“ sprach das Weib lächelnd und tief Atem schöpfend;
„aber unbarmherzig ist es doch, so mit einer Mutter zu spaßen.“ —
„Na, es wird dir nicht gleich schaden,“ entgegnete Rübezahl; „aber
höre, der kleine Schelm da gefällt mir. Gib ihn mir, daß ich ihn
an Kindes Statt annehme, und ich gebe dir so viel blanke Taler, daß
du Zeit deines Lebens mit allen deinen übrigen Buben genug daran
haben sollst.“ — „Gelt,“ lachte das Weib, „der Junge gefällt Euch?
Das glaube ich; wo fände man auch weit und breit so einen herzigen
Schelm? Schaut nur einmal, wie der kleine Kerl jetzt dasitzt und uns
anlacht und nun so artig ist; er weiß recht gut, daß wir von ihm
sprechen. Nein, Herr Berggeist, den Jungen bekommt Ihr nicht, und
wenn Ihr mir Euer ganzes Reich schenktet.“
Rübezahl hatte seine Freude an der guten Mutter; aber sich
verstellend, sprach er: „Bist du nicht eine Törin? Du solltest Gott
danken, daß ich dich aus aller Not reißen, dir die Sorge wegen des
kleinen Schlingels da abnehmen und einen tüchtigen Mann aus ihm
machen will. Statt dessen lehnst du meinen Vorschlag ab und be—
harrst auf deinem Kopf, dich noch länger mit dem Jungen zu plagen.
Machen dir die andern nicht schon Sorge und Not genug, sie nur
satt zu machen?“ — „Wohl wahr,“ versetzte das Weib, „aber eine
Mutter sorgt lieber für ihre Kinder, als daß sie sich ohne sie freuen
könnte. O Herr, Ihr wißt nicht, was eine Mutter empfindet, wenn
ihre Kinder sie froh umspringen; da wird alle Arbeit dreimal so
leicht. Arm sind wir, sehr arm! das ist wahr; aber gottlob!
auch gesund. Ich bin fleißig, mein Mann auch, und er rührt
die Hände wacker.“ — ‚Was ist dein Mann?“ fragte Rübezahl.
„Im Winter,“ berichtete die Frau, „arbeitet er zu Hause; im Sommer