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Ter Kinderkreuzzug.
Ausbreitung nach dem übrigen Italien, nach Spanien, Frankreich, Deutschlands
und nach Ungarn, ja selbst unter den Ungläubigen in Angriff genommen. Wäh-
rend einer Missionsreise, die Franz ins Morgenland unternahm, trafen einzelne
Brüder Änderungen, die dem Sinne des Stifters nicht zusagten-). Jetzt erfolgte
unter dem Einfluß des Kardinals Hugolin von Ostia, des späteren Papstes
Gregor IX., die Umgestaltung der Gesellschaft zu einem förmlichen Orden, dessen
Mitglieder durch die Beweglichkeit und Verwendbarkeit, die sie im Gegensatz zu
den begüterten Orden besaßen, sowie durch ihren Einfluß auf die Volksmassen
ein vortreffliches Werkzeug für die Festigung der päpstlichen Weltherrschaft
abgeben konnten.
18, Der Kinderkreuzzug.
Friedrich Wilken, Geschichte der Kreuzzüge.
(Leipzig, Chr. Wilh. Vogel.)
Die Teilnahme an den Schicksalen des Heiligen Landes zeigte sich unter
Papst Jnnocenz III. in einer ebenso seltsamen als unerwarteten Erscheinung3).
Während man in mehreren Ländern der christlichen Kirche stets von Kreuz-
fahrten redete, die Ausführung derselben aber bald unter diesem bald unter
jenem Vorwande unterließ oder verschob, wurde plötzlich die Jugend in Frank-
reich und Deutschland von der Begeisterung für das Heilige Grab ergriffen und
Knaben faßten den kühnen Entschluß die Stadt Jerusalem wieder aus der
Hand der Heiden zu befreien.
Ein Hirtenknabe mit Namen Stephan aus einem Dorfe in der Gegend
von Vendome an der Loire soll der erste gewesen sein, der es unternahm die
Begeisterung der französischen Jugend für das Heilige Grab zu erwecken.
Indem er vorgab, daß der Heiland selbst in der Gestalt eines armen Pilgers
sich ihm offenbart, ihn als Prediger des Kreuzes für die Jugend bevollmächtigt
und ihm einen Brief an den König von Frankreich eingehändigt habe, beredete
er viele andere Knaben seines Alters zur Annahme des Kreuzes; und die
Wunder, die er vornehmlich in St. Denys^) verrichtet haben soll, gaben seinen
Ermahnungen ein solches Ansehen und eine solche Wirksamkeit, daß sich in
kurzer Zeit eine große Zahl von Knaben um ihn versammelte. Nach dem
Beispiele dieses schwärmerischen Knaben traten auch in andern Gegenden
*) Die erste Niederlassung der Minoriten in Deutschland erfolgte 1225 in Magdeburg.
2) Franz von Assisi zog sich von jetzt an immer mehr in die Einsamkeit zurück;
er starb 1226. Schon zwei Jahre später wurde er heilig gesprochen.
3) Im Jahre 1212.
4) Jetzt eine Vorstadt im Norden von Paris, die Begräbnisstätte der französi-
schen Könige.