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Die Belagerung und Eroberung von Tyrus.
55. Die Belagerung und Eroberung von Cyrus1).
Arrian'), Geschichte der Feldzüge Alexanders des Großen.
Die Belagerung von Tyrus schien in der Tat eine große Unternehmung
zu sein. Denn die Stadt lag auf einer Insel und war allenthalben mit hohen
Mauern umgeben. Von der See her hatten die Tyrier einstweilen noch große
Vorteile, da die Perser das Meer beherrschten und auch die Tyrier selbst viele
Schiffe besaßen. Da aber Alexander sich einmal vorgenommen hatte die Stadt
zu erobern, so ward beschlossen einen Damm vom festen Lande her über die
Meerenge bis an die Stadt zu führen. Die Makedonen und Alexander zeigten
großen Eifer zu dieser Unternehmung. Solange man den Damm neben dem
festen Lande fortführte3), rückte das Werk ohne große Schwierigkeiten weiter;
als die Belagerer aber sich der Stadt näherten, litten sie sehr durch die Wurf-
geschosse, welche von den hohen Mauern auf sie herabgeschleudert wurden. Die
Tyrier fuhren auch mit Dreiruderern bald von der einen, bald von der andern
Seite herzu und störten die Arbeit der Belagerer. Diese errichteten aber oben auf
dem Damme, wo er schon am weitesten in das Meer hinausreichte, zwei Türme
und stellten Wurfmaschinen 4) auf denselben auf. Sie brachten auch Schutzdecken
von Tierhäuten und Leder an um nicht von den Brandpfeilen, die von der
Mauer geschleudert wurden, getroffen zu werden und um auch den Arbeitern
eine Schutzwehr wider die Geschosse zu verschaffen. Zugleich beschossen sie von
diesen Türmen aus die heraussegelnden Tyrier. Diese trafen aber wieder
folgende Gegenanstalten: Sie füllten ein großes Fährschiff mit leicht brennen-
den Stoffen und türmten um die zwei Masten im Vorderteile viele Reisig-
bündel und Fackeln auf; dazu häuften sie noch Pech und Schwefel und was
sonst zur Anfachung einer großen Flamme dient. An den Masten befestigten
sie doppelte Segelstangen, und an diese hängten sie mit Fett und Öl gefüllte
Kessel, welche, wenn sie herab gegossen oder geworfen wurden, die Flammen
erschrecklich verbreiten mußten. In das Hinterteil verbrachten sie allerlei
Ballast um durch dessen Gewicht das Vorderteil in die Höhe zu heben. Bei
günstigem Winde banden sie den Brander an einen Dreiruderer und schleppten
ihn ganz nahe an den Damm und die Türme hin. Dann warfen sie Feuer
') Der Bericht ist stark gekürzt.
2) Flavius Arrianos (um 150 n. Chr.), aus Nikomedien in Kleinasien gebürtig,
gelangte im römischen Staate zu hohen Würden und war auch als Feldherr glücklich.
Er schrieb verschiedene philosophische Werke; unter den Historikern und Geographen seiner
Zeit nimmt er den ersten Rang ein. Leider ist ein großer Teil seiner Schriften, die
alle in griechischer Sprache verfaßt sind, verloren gegangen.
3) Die Steine lieferte das aus dem Festlande gelegene zerstörte Alttyrus, das Holz
wurde vom Libanon herbeigeschafft.
4) s. S. 212.