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Die Schlacht bei Aqua Sextiä.
Der unglückliche Ausgang seines Bruders muß das tiefe Gemüt des blut-
jungen Mannes — er war damals erst 21 Jahre alt — aufs furchtbarste
erschüttert haben. Eine Laufbahn zu betreten, die zu solchem Ende geführt
hatte, besinnt sich auch der Mutigste. Er selbst erzählte, ihm sei vor seiner
Bewerbung um die Quästur^) sein Bruder im Traume erschienen und habe
ihm gesagt: „Zaudere, so lange du willst; dir ist doch bestimmt dem gleichen
Tode zu erliegen, der mich dahingerafft!" Diese Erzählung drückt die Empfin-
dung aus, die ihn beherrschte und die ihm auch nahe genug lag: daß für ihn,
der das Testament des Bruders zu vollstrecken hatte, die Bahn der Politik die
des Todes sei. So erklärt sich, daß er sich nicht vor der Zeit in sie hinein-
drängte, nicht ehe er seine Kräfte erprobt und gewogen hatte, und daß sich bei
denen, die ihn nicht kannten, die Meinung festsetzte, er strebe nicht nach Hohem
und werde sein Leben als einfacher Bürger zubringen.
Davor aber bewahrten ihn die Pietät für Mutter und Bruder, die Bitter-
keit des Schmerzes und seine Seelengröße, die ihn antrieben „die Buße einzu-
fordern für das vergossene Blut des Bruders."
35. Die Schlacht bei flquä Sextiä.
Plutarch, Leben des Marius.
Als Marius vernahm, daß die Feinde nahten, rückte er schnell über die
Alpen und schlug am Rhonefluß ein festes Lager auf.
Die Barbaren hatten sich in zwei Teile gesondert: den Kimbern fiel es
zu durch Norikum von Norden her auf den Konsul Catulus loszurücken und
sich dort den Durchgang zu erzwingen, den Teutonen und Ambronen dagegen
durch das Land der Ligurer am Meere entlang gegen Marius zu ziehen2).
Die Kimbern verfuhren ziemlich langsam und saumselig. Die Teutonen und
Ambronen aber, die sogleich aufgebrochen waren und das zwischenliegende Land
durchzogen hatten, zeigten sich plötzlich, unermeßlich an Zahl, grauenvoll von
Ansehen, mit Lärmen und Toben wie kein anderes Volk. Über einen großen
Teil der Ebene ausgedehnt, schlugen sie ein Lager auf und forderten Marius
zur Schlacht heraus.
*) Die quaestores urbani waren in erster Linie Finanzbeamte: sie hatten die
gesamte Einnahme und Ausgabe unter sich. Unter den obrigkeitlichen Ämtern (magi-
stratus), die der vornehme Römer der Reihe nach bekleidete, bildete die Quästur die
unterste Stufe; dann folgte das Volkstribunat, die Ädilität, die Prätur und schließlich
das Konsulat.
2) Ob die Kimbern und Teutonen nach einem gemeinsamen Plane handelten, wird
bezweifelt. Die Teutonen waren nicht, wie man früher annahm, Germanen, sondern
Kelten, ebenso die mit ihnen verbündeten Ambronen. (Siehe Heyck, Deutsche Geschichte.)