— 252 —
2. Heer und Flotte. Kaiser Wilhelm verließ sich indessen nicht bloß
auf Bündnisse; er wußte, daß der beste Hort des Friedens eine starke, schlag,
fertige Wehrmacht ist. Deshalb vermehrte er das Heer ganz bedeutend. Um
selbst zu prüfen, ob die Ausbildung der Truppen gut sei, hielt er jedes Jahr
in einer Provinz ein großes Kaisermanöver ab. Ebenso sorgte er für bie
Gründung und den Ausbau einer Flotte. Wilhelmshaven und Kiel
entwickelten sich zu gewaltigen Kriegshäfen.
3. Einheitliches Recht. Ein großer Mangel im neuen Reiche war die
Verschiedenheit des Rechts. Was in einem Lande Recht war, war oft im
andern Unrecht. Da erschien 1879 das Strafgesetzbuch für das ganze
Reich. Seitdem werden Übertretungen, Vergehen unb Verbrechen in ganz
Deutschlaub mit bemselben Maße gemessen. Nicht so schnell ging es mit 'beut
Bürgerlichen Gesetzbuch. Es würbe zwar schon unter ber Regierung
Wilhelms I. ausgearbeitet, trat aber erst am 1. Januar 1900 in Kraft Der
höchste Gerichtshof ist bas Reichsgericht zu Leipzig. „Leipzig hat gesprochen,
ber Streit ist aus."
4. Wirtschaftliche Fortschritte. An bie alte Zersplitterung erinnerte
auch bie bunte Mannigfaltigkeit der Münzen, Maße und Gewichte in ben
einzelnen beutschen Ländern. In Preußen rechnete man nach Talern, in ben
Südstaaten nach Gulben. Es gab Groschen, Batzen unb Kreuzer. Elle, Fuß
unb Zoll hatten bie verschiedensten Längen, und ebenso waren Pfund und
Lot, Maß und Schoppen hier größer, dort kleiner. Diesen Mißständen wurde
1875 mit einem Schlag ein Ende gemacht. Von jetzt ab rechnete man überall
nach Mark, Meter, Liter, Kilogramm.
5. Post- und Tclegraphenwefen. Das Reich übernahm ferner das
Post- und Telegraphenwesen in allen deutschen Ländern mit Aus-
nähme von Bayern unb Württemberg unb ließ es fortan bnrch bas Reichs-
Postamt verwalten. An feiner Spitze stanb lange Zeit der Generalpost-
meist er Heinrich Stephan. Durch ihn erhielt selbst jedes größere Dorf
feine Postanstalt; die kleineren bekamen Postagentnren oder Posthilfsstellen.
Telegraph und Telephon verbanden bald die meisten Städte und Dörfer.
Diesen Mann verehren nicht nur die Deutschen; ganz Europa und viele
überseeische Länder sind ihm großen Dank schuldig. Früher war nämlich
das Porto für Briefe, die ins Ausland gingen, sehr hoch; ein einzelner
kostete wohl mehrere Mark. Da rief Stephan 1875 den Weltpostverein
ins Leben. Seitdem zahlt man für einen Brief, der nach einem dec ent¬
ferntesten Punkte nnsrer Erde geht, nur doppelt so viel als für den, der nach
einem Orte des Inlandes befördert wird.
6. Eisenbahn- und Kanalbau. Auch das Eisenbahnwesen nahm
einen gewaltigen Aufschwung. Bis dahin hatte der Staat den Bau von
Eisenbahnen meistens Privatgesellschaften überlassen. Diese bauten natürlich •
nur solche Strecken, die ihnen Gewinn brachten. Arme Gegenden blieben
darum ohne Schienenwege. Jetzt übernahm Preußen die wichtigsten Eisenbahn¬
linien in seinem Gebiet. Der Staat konnte auch Strecken bauen, die sich
nicht lohnten. Da wurde mancher abgelegene Winkel mit der Welt ver¬
bunden. Den Leuten war es nun möglich, ihre Erzeugnisse zu besseren