Kaiser Wilhelm II. 165
Preußen der König des Staates erster Diener ist." Zur Eröffnung des
deutschen Reichstages erschienen in Berlin fast sämtliche deutsche Fürsten
und zeigten dadurch der Welt, daß die Einheit des deutschen Reichs trotz
des zweimaligen Thronwechsels nicht im mindesten erschüttert sei.
Getreu dem Rate des sterbenden Großvaters suchte der junge Kaiser
vor allem die friedlichen Beziehungen zu dem Kaiser von Rußland zu
pflegen und fuhr in Begleitung seines Bruders Heinrich mit einem
glänzenden Geschwader nach Petersburg. Es war die erste große Flotten-
fahrt eines deutschen Kaisers auf kaiserlich deutscher Marine! Mit Stolz
und Zuversicht blickte deshalb ganz Deutschland auf seinen jungen
Herrscher; in Petersburg wurde demselben ein glänzender Empfang zu
teil, auf der Rückreise besuchte er auch noch die nordischen Höfe in Stock-
Holm und Kopenhagen und eilte dann heim zu seiner hohen Gemahlin,
die ihn, noch bevor er wieder den deutschen Boden betreten, mit der
Geburt des fünften Prinzen erfreut hatte. Bald darauf begab sich Kaiser
Wilhelm auf eine mehrwöchentliche Reise an die süddeutschen Höfe,
sowie nach Wien, Rom, Athen und Konstantinopel, wo er mit
einstimmiger Begeisterung empfangen wurde. Alle Welt sah in den
glänzenden Huldigungen, die unserm Kaiser zu teil wurden, einen neuen
Beweis für die Freundschaft, welche die Herrscher von Deutschland, Öster-
reich-Ungarn und Italien verbindet, und laut wurde es ausgesprochen,
daß die drei Herrscher und Völker in der Mitte Europas einig sind in
dem Wunsche und Bestreben, den Weltfrieden zu erhalten. Als im
Monat Mai 1889 der König von Italien zum Gegenbesuche erschien,
bereiteten ihm Hof und Hauptstadt einen Empfang, wie ihn Berlin noch
nicht gesehen. Der Reichstagspräsident sprach es aus, was das deutsche
Volk fühlte: „Der deutsche Kaiser, dem unsere Herzen schlagen, begrüßt
in der Reichshauptstadt seinen treuen Verbündeten zur Erhaltung des
Weltfriedens, den mächtigen Herrscher eines Nachbarstaates, mit dem wir
in guten, aber auch in bösen Tagen zusammenstehen wollen." Gerade
während dieser Festtage wurde im deutschen Reichstage eine schon unter
Kaiser Wilhelm I. ausgearbeitete Vorlage der Regierung angenommen,
die Kaiser Wilhelm II. besonders am Herzen lag. Von Anfang seiner
Regierung an hatte er, wie sein kaiserlicher Großvater, ein Hauptaugen-
merk auf das Los der Armen im Volke gerichtet. Nach seinem Willen
sollen die Arbeiter in den Tagen ihres Alters aus öffentlichen Kassen
eine Einnahme beziehen, die es ihnen ermöglicht, unter bescheidenen An-
fprüchen sorgenfrei zu leben. Eine derartige Versorgung des arbeitenden
Standes fand sich bis dahin in keinem Lande.
So waltet des Reiches Haupt in steter Treue und unermüdlicher
Arbeit seines hohen Amtes: verbündet mit starken Mächten, steht.De^tsch^ ,^,^
Hoffmeyer und Hering, Erzählungen III. (AuSgabe L.) 12