Full text: Lehrbuch der Geschichte für Mittelschulen

VI Geld und Geldwirtschaft. Münze und Münzform. 
Diefe Verhältnisse wurden um so unerträglicher, je mehr sich bei zu- 
nehmender Bevölkerungsdichte und Arbeitsteilung Industrie und Handel 
ausbildeten, also vor allem in den Städten. Die unaufhaltsame Entwicklung 
verlangte einen Wertmesser, der auf kleinerem Raum größeren Wert 
vereinigt, demnach in der Natur seltener vorkommt, leicht in eine gewünschte 
Form gebracht werden kann, die er dann beibehält; ferner leicht zu trans- 
Portieren und aufzubewahren ist, ohne seinen Wert zu ändern, nichts ver- 
zehrt, nicht von selbst zugrunde geht, keine tägliche Pflege beansprucht usw. 
Es konnte dies nichts Organisches, es mußte etwas Anorganisches sein. 
So kamen die Kulturvölker auf die sog. Edelmetalle (Silber, Gold); 
der Übergang zur Geldwirtschaft war gegeben. 
Anfangs wurde das Edelmetall nach seinem Feingehalt bestimmt 
und dann gewogen (ein Pfund Silber, ein Pfund Heller [Häller von 
der schwäbischen Stadt Hall, die von Kaiser Friedrich Barbarossa das Recht 
bekam, für ihren Salzhandel diese Münze herzustellen); heute noch ein 
Pfund Sterling). Weil aber das jedesmalige Wiegen sehr umständlich 
war, fertigte bald eine größere Gemeinschaft (Stadt, Staat) ein bestimmtes 
Gewicht als Einheit und setzte als Zeichen der Garantie ihren Stempel 
darauf. Was die Form der Münzen anbelangt, so benutzen wir heutzutage 
die Zylinderform mit geringer Höhe als die bequemste; in der ältesten 
Zeit war es vermutlich der Ring. Das hängt mit der Kleidung zu* 
sammen, die keine Taschen hatte. Wollte man kleinere Wertgegenstände auf- 
bewahren, so mußte man um die Hüften einen Gürtel legen und aus den 
Falten des Kleides einen Baufch machen. Selbst dann konnten kleinere Wert- 
gegenstände fehr leicht verloren werden, auch wenn sie in einem Beutel 
lagen; denn dieser wurde nur gespürt, wenn er ziemlich groß und voll war. 
So kam die Ringform auf. Kleinere Ringe (Münzen) trug man an den 
Fingern, größere an den Armen oder um den Hals; der Besitzer konnte 
sie nicht leicht verlieren und doch zugleich sehen lassen. 
Für den entwickelten kaufmännischen Verkehr aber erscheint die Ring- 
form wiederum unpraktisch, weil der Stempel der Gesamtheit schwierig 
anzubringen und wenig sichtbar ist und die Kontrolle des Feingehalts Um¬ 
stände macht. Deshalb wurde die heutige Münzform gewählt. Indes hat sich 
die Erinnerung an die Ringform der Münzen in der Überlieferung der 
Völker erhalten. Im Alten Testament und in der Edda wird noch 
manchmal mit Ringen bezahlt, und selbst wo die Erinnerung an den 
Ring als Münze verschwunden ist, ist eine unbewußte Ahnung davon ge¬ 
blieben in der symbolischen Bedeutung, die demselben bis auf den 
heutigen Tag beigelegt wird. Papst und Bischöfe tragen einen Ring; 
Ringe gibt man Personen, die man an sich ketten will (mehrere Ringe geben 
zusammengereiht eine Kette); der Doge von Venedig vermählte sich 
jährlich mit dem Meere durch einen Ring. In „Tausend und eine Nacht" 
hat Salomo einen Ring, der die Geister bannt, ebenso Aladdin neben 
seiner „Wunderlampe". Lessing hat im Drama „Nathan" die Sage von 
einem Ring verarbeitet, der den Inhaber zum Familienoberhaupt macht; 
auch der „Ring des Nibelungen" erhebt seinen Träger zum Herrn der 
Welt. Überall der gleiche Gedanke: Ring ist Geld — Geld ist Macht
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.