Full text: Vaterländische Geschichtsbilder

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Die Zusammensetzung der Gerichte war äußerst einfach. Ein 
Richter, Graf, Schultheiß, Hof- oder Landrichter, stand als Inhaber 
oder Träger der Gerichtsbarkeit an der Spitze des Gerichts und leitete 
die ganze Verhandlung, aber nur als „Frager des Rechts". Er hatte 
selbst keine Stimme, sondern erfragte und verkündete nur das Urteil, 
welches die Beisitzer des Gerichts, Genossen und Ebenbürtige des zu 
Richtenden, gesunden hatten. Diese Beisitzer, Schöffen oder Rechts- 
sprechet, Urteilslente oder auch Rechtssitzer genannt, waren Männer 
aus dem Volke, arm an Bücherweisheit, aber reich an Einsicht und 
Erfahrung, ausgerüstet mit einer genauen Kenntnis der althergebrachten 
Rechtsgewohnheiten. Sie wurden, bevor sie das Urteil fanden, vereidigt. 
Alle Gerichte waren öffentlich; die Parteien mußten erscheinen, so 
daß sie der Richter selbst sehen, hören und fragen und somit leichter 
und sicherer die Wahrheit ergründen konnte. Öffentlich waren die 
Gerichte ferner auch für den sogenannten Gerichtsumstand, d. h. für 
die freien Gemeindeangehörigen, die wegen des gerichtlichen Zeugnisses 
und Beweises zugegen waren und wo kein eigener Schöffenstand sich 
ausgebildet hatte, in ihrer Gesammtheit zu Recht erkannten. Der Ge- 
richtsumstand hatte den besonderen Beruf, darüber zu wachen, daß kein 
ungesetzlicher, dem alten Herkommen widerstreitender Gebrauch sich ein- 
schleiche; er konnte, auch wo er kein Recht sprach, von dem Richter 
oder den Schöffen oder den Parteien zur Beratung herangezogen werden. 
Zu allen Gerichten wurden „Fürsprecher" zugelassen, und Kläger 
wie Beklagter durften sich eines solchen bedienen. Jeder an seinem 
Rechte unbescholtene Mann konnte Fürsprecher sein und die Sache 
seines Schützlings dem Gerichte vortragen, aber nie für sich allein, 
sondern in Gegenwart des Klienten oder dessen Gewalthabers. Mittels- 
Personen, welche in Abwesenheit der Parteien die nötigen Beweise 
herbeigeschafft, die Klagen und Antworten schriftlich eingereicht hatten, 
waren unbekannt. 
Wie alle Vorträge öffentlich gehalten wurden, so mußten auch die 
Beweise öffentlich, in Gegenwart der Parteien, des Gerichts und des 
Gerichtsumstandes geführt werden, und auch die Abstimmung fand 
öffentlich statt. Durch die Verhandlung vor dem ganzen Umstand und 
mit demselben lernte das Volk seinen Richter und ber Richter das 
Volk genauer kennen, Argwohn und Mißtrauen schlichen sich selten ein, 
vielmehr wurde das Band der Eintracht zwischen Richter und Urteils-
	        
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