Full text: Lesebuch zur Einführung in die deutsche Litteratur (Teil 6, [Schülerband])

VI 
Aus diesem Grunde bildet jedes Kapitel eine geschlossene Einheit. 
Es wird den Zusammenhang keineswegs stören, wenn einzelne Ab¬ 
schnitte völlig übergangen werden; es ist durchaus zulässig, nur die 
sogenannten klassischen Epochen herauszuheben, dagegen andere Gruppen 
und Abteilungen ganz zurücktreten zu lassen. Es ist schon ein Wichtiges 
erreicht, wenn der Schulunterricht die Vertrautheit mit dem Buche 
vermittelt hat und dasselbe als ein liebgewordenes Nachschlagebuch, 
als einen Wegweiser und Ratgeber für die spätere Zeit, wenn die 
Schule nicht mehr lehrend und helfend mitwirken kann, in den Händen 
ihrer Zöglinge weiß. 
Vorzugsweise aus diesem Grunde ist das Lesebuch auch weiter 
gegangen, als der Schulunterricht in der Regel zu reichen pflegt, 
indem es die neuere und neueste Dichtung in umfangreicherer Weise 
aufgenommen hat. Wieviel von dem gebotenen Stoffe in dem Schul¬ 
unterricht behandelt werden kann, das mag der Entscheidung jeder 
einzelnen Schule anheimgestellt werden. Doch dürfte es nachgerade 
an der Zeit sein, die öden Strecken des späten Mittelalters, des 16., 
17. und teilweise noch des 18. Jahrhunderts aus dem Unterrichte ganz 
auszuschließen; die hierauf verwendete kostbare Zeit diente besser dem 
höheren Zwecke, in unserer Jugend das deutliche Bewußtsein zu erwecken, 
daß sie doch Kinder des 19. Jahrhunderts sind, und daß auch sie ein 
Recht haben, von dem Herrlichsten und Besten, was unsere Dichtung 
seit vier Dezennien hervorgebracht hat, mit zu genießen. Von allen 
Seiten mehren sich die Klagen, daß unsere Jugendlitteratur, namentlich 
die Lektüre für die weibliche Jugend so schal und trotz ihrer harmlosen 
Außenseite nicht selten sittlich recht bedenklich geworden sei. Nun, 
wenn irgend ein Faktor verpflichtet ist, nicht zu klagen, sondern that¬ 
kräftig dem erkannten und anerkannten Übelstande entgegen zu wirken, 
so ist es doch die Schule. Sorgt sie redlich dafür, daß der Sinn 
rein und die Augen hell gehalten werden, dann wird die Jugend 
wohl beraten sein, und die Abirrungen werden mit der Zeit wohl 
auch wieder verschwinden. 
Mit Recht macht der „Normal-Lehrplan für die Höheren 
Mädchenschulen zu Berlin" darauf aufmerksam, daß der Schulunterricht 
auf das hinweisen soll, „was neben und nach Chamisso, Rückert, Uhland, 
Geibel besonders bedeutend ist und was sich zur Lektüre nach der 
Schulzeit besonders empfiehlt". So richtig der Grundgedanke ist, so 
wenig fruchtbar kann er doch in dieser allgemeinen Fassung werden;
	        
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