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und der Fürsten Ziel vereitelt? Der Kaiser ist wieder in den vollen
Besitz der Reaierunasgewalt gekommen. Der Reichstag zu Augsburg ist
vereitelt, der Bund zwischen Fürsten und Papst gelockert, die Fürsten aber
sind unschädlich gemacht. So hat er den Papst durch seme Buße besiegt.
— Und trotz dieses Erfolges lag in den Tagen von Kanossa eine
tiefe Erniedrigung des Kaisertums. Inwiefern? Der Kaiser hat
dadurch zugegeben, das; der Papst das Recht habe, den Kaiser abzusetzen.
So geht Heinrich trotz seines Sieges als Besiegter aus dem Kampfe hervor.
— Überschrift: Wie Heinrich sich durch die Buße zu Kanosia vom
Banne befreit. ^ r . ..,
III. Wodurch die Schmach von Kanossa herbeigeführt
wurde?
Die Schuld trifft zunächst den Papst Gregor VII, dessen Plan
dahin ging, die Kirche frei und selbständig, den Papst zum Herrn der
Kirche und über Kaiser und Reich zu machen. Ehrgeiz und Herrsch-
sucht waren die Triebfedern, die ihn dies Ziel verfolgen ließen. Dabei
behauptete er, daß er der Stellvertreter Petri sei und daß ihm Gott die
Macht gegeben habe, zu binden und zu lösen im Namen des dreieinigen
Gottes, daß ihm also durch Petrus die Herrschaft über die Kirche und
über die irdischen Reiche übertragen worden sei. Das steht aber nirgends
in der heiligen Schrift. Herr der Kirche ist Christus, und Herr des irdischen
Reiches ist der Kaiser. (Rom. 13, 1—2, Matth. 20. 21. lyoh. 18. 36.)
Die Obrigkeit ist Gottes Ordnung, also kann sie keinen andern irdischen
Herrn über sich haben, sie ist ihr eigner Herr. Also ist der Kaiser der
Kerr des Reiches und nicht der Papst. Wie kann auch der Papst Herr
sein auf Erden, der doch ein Mensch ist uud als solcher doch auch irrt
und sündigt. Der Plan Gregors war also unchristlich. Bei der Aus-
führung des Planes zeigt er sich rücksichtslos, klug, mutig.
Schuld waren ferner die Fürsten. Die Eideslösung ist ihnen ein
willkommener Vorwand, um durch Abfall von dem nach immer größerer
Königsmacht strebenden König ihre bedrohten Rechte und Freiheiten sicher
zu stellen. Durch dieses selbstsüchtige Streben ging die Einigkeit im
Innern verloren, in dem Reiche aber die Selbständigkeit und Hoheit, die
es von jeher neben und über dem Papsttum gehabt hatte. Anstatt mit
dem Kaiser für die Macht und Ehre des Reiches zu sorgen, wie es ihre
Pflicht war. sind sie dem Papst bei der Durchführung seines Planes
behilflich.
Endlich trägt die Schuld daran der König selbst: Er mißachtet das
Verbot der Simonie — das war unklug; er setzt den Papst ab — das
war hochmütig und unrecht; er bedrückt die Sachsen — das war gewalt-
thätig; er unterschreibt den Vertrag von Tribur — das war kleinmütig;
er verzichtet dem Papste gegenüber auf alle Ausübung königlicher Gewalt
— das war schimpflich.
IV. 1. Was meinte Fürst Bismarck mit dem Worte: „Nach Kanossa
gehen wir nicht!"
2. Inwiefern hat Gregor den Sieg davongetragen?
3. Wie zeigt sich heute noch das Streben Roms nach Unabhängigkeit?
Ob die deutschen Fürsten nunmehr Heinrich IV. wieder
als ihren König und Herrn anerkennen, wie sie im
Vertrage zu Tribur gelobt?