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Schon nahmen die Barbaren ihre Sitten an. Sie stellten sich zu den Märkten ein
und lebten mit den Römern in friedlichem Berkehr. Aber sie konnten doch der Sitten
ihrer Väter, ihrer Landesgebräuche, ihrer ungebundenen Lebensweise und der Macht,
die ihre Waffen ihnen verliehen, nicht ganz vergessen. So lange sie von den Römern
nur allmählich und mit großer Behutsamkeit ihrer alten Sitten entwöhnt wurden,
empfanden sie die Veränderung ihrer Lebensweise nicht drückend und merkten es
kaum, wie sie andere wurden. Als aber der Römer Quintilius Varus, der vorher
Statthalter in Syrien gewesen war, zum Oberbefehlshaber in Germanien ernannt
wurde, wollte dieser das Volk mit einem Male umwandeln; er behandelte die Ger-
matten herrisch und erpreßte von ihnen, wie von Untertanen Tribut. Das wollten
sie sich nicht länger gefallen lassen. Die Häupter des Volkes sehnten sich nach der
früheren Herrschaft zurück, und die Menge fand die frühere, hergebrachte Regterungs-
weise besser als die jetzige Zwingherrschaft der Fremden. Mit Kummer blickten bte
Germanen auf ihre Schwerter, die der Rost bedeckte, und auf ihre Rosse, die müßig
standen.
Ein Jüngling von edlem Geschlechte, tapferen Armes und gewandten Geistes,
namens Armin, ein Sohn Segimers, des Fürsten der Cherusker, gedachte, die Sorg¬
losigkeit des römischen Befehlshabers sich zunutze zu machen. Er hatte früher bte
Römer auf vielen Feldzügen begleitet und befaß außer dem römischen Bürgerrecht
auch den Rang eines römischen Ritters. Jetzt dachte er gar klug, niemand sei leichter
zu überwältigen, als wer nichts fürchte, und nichts fei öfter der Anfang des Unglückes
gewesen als Sorglosigkeit und das Gefühl der Sicherheit. Zuerst weihte er wenige,
dann mehrere als Genossen in seine Pläne ein. Daß es möglich sei, die Römer zu
besiegen, behauptete er mit Zuversicht, überzeugte davon auch seine Gefährten, und
er bestimmte eine Zeit zum Überfall. Das wurde Varus durch einen Cherusker,
namens Segest, angezeigt. Aber das waltende Schicksal hatte den Geist des Varus
verdunkelt.
Einen offenen Aufstand wagten die Germanen nicht, weil sie meinten, die Zahl
der Römer, die am Rhein und im Innern des Landes standen, sei zu groß. Sie
nahmen vielmehr den Varus so aus, als ob sie allen seinen Forderungen sich fügen
wollten, und lockten ihn vom Rheine weiter in das Land ber Cherusker unb bis zur
Weser. Auch hier lebten sie mit ihm in Frieben unb Freundschaft unb ließen ihn
glauben, baß sie auch ohne bte römischen Waffen ben Befehlen ber Römer ge¬
horchen würben.
So geschah es, baß Varus nicht, wie er in Feindesland hätte tun sollen, seine
Truppen zusammenhielt, sonbern viele seiner Leute nach verschiebenen Seiten hinsandte,
sei es, um gewisse Plätze zu beschützen, sei es, um Räuber aufzugreifen oder
Transporte von Lebensmitteln zu decken.
Die vornehmsten Verschworenen, die später auch im Kriege die Anführung
übernahmen, waren Armut und Segimer, die beide stets um Varus waren und
oft an seiner Tafel saßen. Während nun Varus ganz zuversichtlich war und
sich keines Argen versah, vielmehr alle, die ihn zur Vorsicht mahnten, wegen
allzugroßer Ängstlichkeit schalt, empörten sich zuerst, der Verabredung gemäß, etliche
entferntere Stämme. Sie wollten baburch ben Varus, wenn er gegen bie Empörer
zöge, in eine Falle locken unb ihn verhindern, Vorsichtsmaßregeln zu treffen,
wenn sie sich alle zugleich empörten. So geschah es benn auch. Als Varus
aufbrach, begleiteten sie ihn eine Strecke, bann blieben sie zurück, angeblich um
Bundesgenossen zu werben unb sie ihm zuzuführen. Nachdem sie bie Hilfsmacht,
die schon an einem bestimmten Platze bereit stanb, an sich gezogen hatten, rückten
sie gegen Varus vor unb zeigten sich nun nicht als Untertanen ober Bundesgenossen,
sondern als Feinde. Die Gebirge, in denen sich Varus jetzt befand, waren fchlnchten-
reich und zerklüftet, die Waldungen undurchdringlich dicht und voll gewaltiger
Stämme, so daß die Römer schon vor dem Erscheinen der Feinde mit dem Fällen
der Bäume, dem Wegebahnen und dem Schlagen von Brücken volle Arbeit hatten.
Die Römer führten auch, wie im Frieden, viele Wagen und Lasttiere mit sich, und
Kinber, Weiber und Diener folgten ihnen, fo baß schon baburch wenig Ordnung in
dem Zuge war. Dazu kam, um sie noch mehr auseinanderzubringen, Regen und
heftiger Wind und ber schlüpfrig geworbene Bobett, sowie die Wurzeln unb die
umgestürzten Baumstämme gestatteten nur unsichere Tritte. Während solcher Not